Wie liegt die Stadt so wüst

Die Uhr tickt in Dresden ein wenig anders und so orientiert sich der regionale Jahresumbruch am 13. Februar. Dieses Jahr konnten zum zweiten Mal in Folge freudig die Korken knallen, denn die Nazis kamen nicht durch. Ein Jubelartikel würde den Ereignissen aber dennoch nicht gerecht werden. Dresden als gelebter und zelebrierter Mythos ist zwar ins Wanken geraten, aber noch nicht zu Fall gekommen und wer dies jetzt nur bezogen auf die Nazis liest, täuscht sich.

Die Stadt, die es nicht lassen kann …

Fest steht, dass sich die Stadt von ihrer früheren Haltung der Ignoranz der Nazis verabschiedet hat. Es blieb ihr auch nichts anderes übrig, angesichts historischer Fakten, politischen Standards der „Berliner Republik“ und der Tatsache, dass ihr das Geschehen um den 13. Februar völlig aus den Händen zu gleiten drohte. So fand dieses Jahr zum zweiten Mal in Folge eine Menschenkette zum Schutz der Altstadt statt, zum dritten Mal hielt das Stadtoberhaupt auf der offiziellen Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof, die zuvor immer still verlaufen war, eine Rede.

Aber wieder fing die Ansprache mit dem Opfermythos, dem Faschingstag, den Kindern und den Flüchtlingen an. Erneut begann die Geschichte nicht 1933, sondern erst am 13. Februar 1945. Die Trauergäste setzen sich seit Jahren nur noch aus 150 mehr oder weniger Offiziellen, 20 vereinzelten Bürger_innen und dem großen Pulk von knapp 100 Nazis zusammen. Ein bunter Strauß vom sächsischen Ministerpräsidenten, Vertreter_innen aller demokratischen Parteien über den Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Mitgliedern von VVN/BdA und alliierte Konsulatsangehörigen bis hin zu Holger Apfel und seinen Pappkameraden. Alle reihten sich ein in die Riege derer, die zu Blasmusik des Polizeiorchesters Kränze niederlegten für die Toten der Bombardierung.

Es wäre absurd anzunehmen, dieser Reigen würde auch nur in Ansätzen dieselben politischen Ziele teilen. Es bleibt unverständlich weshalb Abgeordnete, deren Parteien gleichzeitig im Bündnis „Dresden Nazifrei“ organisiert sind und Vertreter von Opfern des Nationalsozialismus an dieser Veranstaltung teilnehmen. Es hat wohl keiner den Mut, obwohl es halbherzige Versuche der Aufgabe des Symbols Heidefriedhof gab, diesen unerträglichen Konsens endgültig aufzukündigen.

Und auch die antifaschistische Linke bleibt im Vergleich zur Mobilisierung gegen den Naziaufmarsch verhalten. „Dresden Nazifrei“ kämpft mit sich und seinen Mehrheiten um eine Position zum „Mythos Dresden“, immer mit einem Auge auf die eigene Mobilisierungsfähigkeit. „Keine Versöhnung mit Deutschland“ stellte sich in diesem Jahr immerhin mit Transparenten gegen den Opfermythos auf den Friedhof – die Frage ist nur, für wen eigentlich. Peinlich ist den Anwesenden ihr Kommen schon seit Jahren nicht, sie sind beratungsresistent und es sieht sie ja niemand. Einzig die Nazis, die haben sich tatsächlich geärgert.

So bleibt „Keine Versöhnung mit Deutschland“ das gute Gewissen derjenigen, die die Situation unerträglich finden. Die Verkörperung des „Anständigen“ ist in Dresden keine Normalität sondern „linksradikale“ Position.

Händchenhalten gegen Nazis

Am Nachmittag des 13. Februars strömten 17.000 Personen zur Menschenkette unter dem Motto „Erinnern und handeln. Für mein Dresden. Menschenkette zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens vor 66 Jahren“, wirksamer antifaschistischer Protest sieht anders aus. Auch hier zeigt sich schon allein am Motto worauf der Fokus liegt. Und ebenso wie beim Symbol Heidefriedhof machen alle mit; Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft, den Kirchen, der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, dem Sport und der Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und sämtliche demokratische Fraktionen des Stadtrats. Eine Einigkeit, die sich nur dann aufbrechen ließe, wenn die eigene Position der jeweiligen, zur Menschenkette aufrufenden Organisationen zum Mythos aufgekündigt wird.

So hielt man sich an den Händen und beschützte die historische Altstadt, zeitlich und räumlich weit weg von den Nazis. Es ist ein Versuch der Stadt die Bombardierung mit der Gegenwart des Naziaufmarsches zu verknüpfen. Die Menschenkette ist aber zum Protest gegen Nazis ungeeignet, ihre Deutungsoffenheit offenbart politische Ohnmacht und verkörpert inhaltlichen Widerspruch. Es knirscht, wenn man den Nazis den „Missbrauch des Gedenkens“ vorwirft, selbst aber die Legitimität kollektiver Trauer betont. Ohne Frage klafft zwischen den Nazis und der Dresdner Trauergemeinde eine Lücke. Während die einen deutsche Schuld leugnen, erkennen die anderen an, dass die Deutschen verantwortlich für Krieg und die nationalsozialistischen Verbrechen sind. Der Versuch über alle politischen Lager hinweg einen Widerspruch zwischen „gutem Gedenken“ und „falschen Gedenken“ zu konstruieren, geht fehl, denn jedes Gedenken wirkt – wenn auch auf unterschiedliche Weise – an deutscher Opferstilisierung mit.

Von der Stadt, die weder Nazis noch den Protest dagegen mag

Nachdem im Vorjahr selbst die Stadteliten nicht herumkamen den Erfolg des Blockadebündnisses – selbstverständlich unter permanenter Betonung der Wichtigkeit ihrer Menschenkette – zu würdigen, standen die Vorzeichen eines offeneren Umgangs mit „Dresden Nazifrei“ eigentlich recht gut. Zahlreiche Veranstaltungen weit ins bürgerliche Spektrum hinein beschäftigten sich mit der Legitimität von Blockaden und auch die lokale Medienlandschaft trat dem Anliegen der Verhinderung aufgeschlossener gegenüber.

Trotz dieses liberaleren Klimas hatte sich die Stadt erneut entschlossen in konservativer Engstirnigkeit zu agieren und bettete dies in eine formaljuristische, ordnungspolitische Argumentation. Demokratische Demonstrant_innen wurden pauschal dem „linken Lager“ zugeschlagen und zu „Störern“ erklärt. So schrieb Robert Koall, Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden im Nachgang entsetzt: „Man begreift nicht, dass man als Bürger der Stadt gezwungen wird, sich am Rande der Legalität zu bewegen, wenn man nichts weiter tun will, als seine demokratischen Grundrechte wahrzunehmen. Man kann nicht nachvollziehen, wieso das Verwaltungs- und Polizeirecht die Rechtsextremen zu sogenannten Nichtstörern macht, die protestierenden Bürger aber zu „Störern“. [1]

Aus der eindimensionalen Logik der Stadt heraus wurde am 13. Februar ein Rundgang von „Dresden Nazifrei“, der auf die Spuren Dresdner Täter des Nationalsozialismus aufmerksam machen wollte, faktisch verboten und den Nazis ein Fackelaufmarsch am Abend genehmigt. Protest aus Wissenschaft, Politik und von Überlebenden der Shoa der vom Bundesinnenminister a.D. Gerhart Baum Über Prof. Dr. Andreas Nachama, Geschäftsführender Direktor der Stiftung Topographie des Terrors und Esther Bejarano, Vorsitzende des Auschwitz-Komitees reichte, prallte ab.

Zum 19. Februar selbst hatten sich die Stadtoberen gerade dazu durchringen können, zur Teilnahme an kirchlichen Mahnwachen aufzurufen. Statt zu darüber hinausgehendem Protest zu mobilisieren, verunmöglichten sie durch das Verschweigen der Nazitreffpunkte die Organisation entschlossener Massenblockaden. Vielmehr wurde angekündigt, dass vom Verwaltungsgericht geforderte „Trennungsgebot“ durchzusetzen und kurzerhand sämtliche Protestveranstaltungen auf Altstädter Seite verboten.

Trotzdem begaben sich Zehntausende auf die Straße, um sich den Nazis in den Weg zu stellen. Schlussendlich erfolgreich, wenn der Preis für die Verhinderung dieses Jahr für alle auch ein hoher war. Es bleibt festzustellen, dass wenn entschlossener, friedlicher Protest verunmöglicht wird, sich andere Wege finden die Nazis zu stoppen. Für den 19. Februar hatte die Stadt mit ihrer Blockadehaltung gegenüber „Dresden Nazifrei“ aktiv daran mitgewirkt friedlichen, entschlossenen Protest massiv zu erschweren.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung, AIB Nr. 90, Frühjahr 2011

[1] http://www.sz-online.de/Nachrichten/Politik/articleid-2694344 – Der Stadt Dresden fehlt eine politische Haltung – zuletzt eingesehen am 08.03.2011