„Blood & Honour“: NSU-Helfer in Sachsen

Informationen zu den Personen und Strukturen der Razzien am 25. Januar 2012

Ein Hintergrundbericht des Antifaschistischen Rechercheteams Dresden (ART DD), der GAMMA-Redaktion Leipzig und der Antifaschistischen Recherchegruppe Jena (ARG)

Über zehn Jahre zu spät 

Am frühen Morgen des 25. Januar 2012 bot die Polizei auf, was sie konnte: Mit Hubschrauber, Hunden und dem Spezialeinsatzkommando stürmte sie die Wohnung von Thomas Starke in Dresden-Gorbitz. Dem heute 41-Jährigen wird neben den zur selben Zeit durchsuchten Jan Botho Werner, Antje Probst und Andreas Graupner vorgeworfen, den NSU bis 2003 gedeckt zu haben. Zwei von ihnen sollen sogar Waffen und Sprengstoff für die Rechtsterroristen beschafft haben. Insgesamt gelten neben Beate Zschäpe derzeit 11 Personen als Beschuldigte in den Ermittlungen gegen den NSU.

Die Gemeinsamkeiten sowie die Bekanntschaft der am 25. Januar in Sachsen durchsuchten Personen gründen sich auf deren Aktivitäten in der neonazistischen Musik- und Vertriebsszene, insbesondere auf ihre Anbindung und Nähe zur sächsischen Sektion des internationalen Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“. [1]

Teile des sächsischen „Blood & Honour“-Ablegers haben ihren Ursprung in den 1990er Jahren bei den „Skinheads Chemnitz“, die unter dem Namen „CC88“ [2] weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wurden. Über das Verbot der deutschen „Blood & Honour“ Sektion durch das Bundesinnenministerium im Jahr 2000 hinaus waren die jetzt in den Fokus der Ermittlungen geratenen Personen maßgebliche Figuren in der rechten Musik- und Vertriebsstruktur.

Als mutmaßliche Mitwisser des Thüringers Ralf Wohlleben, der bereits zuvor der Unterstützung des NSU beschuldigt wurde, sind am 25. Januar 2012 außerdem zwei weitere Thüringer Neonazis, Frank Liebau und Andreas Schulz, durchsucht wurden.

Treffen aktuelle Medienberichte zu, dann vermuteten thüringische und sächsische Behörden schon frühzeitig, womöglich bereits 1998, dass sich die NSU-Mitglieder Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nach Sachsen abgesetzt haben. Offenbar führten die Ermittlungen spätestens im Jahr 2000 nach Chemnitz und dort ins direkte politische Umfeld des NSU: zu genau jenen Personen im Umkreis von „CC88“ und dessen Verbindungen, bei denen nun die Hausdurchsuchungen stattfanden.

Jan Werner wurde bereits im Jahr 2000 durch einen aufgeflogenen V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes bezichtigt, Waffen für die flüchtigen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe besorgt zu haben.

„Blood & Honour“ als Vorbild der Rechtsterroristen

Eine tragende Rolle bezüglich der ideologischen Ausrichtung des NSU und dem Aufbau seiner Unterstützerstruktur scheint das straff organisierte „Blood & Honour“-Netzwerk zu spielen. Mit dem militanten Arm „Combat 18“ und dem Prinzip des „führerlosen Widerstandes“ („leaderless resistance“) war die internationale Naziorganisation zweifelsohne Leitbild des NSU. Immer wieder wurde in Publikationen des konspirativ organisierten Netzwerks gefordert, den „Rassenkrieg“ vorzubereiten: man müsse „geheime Strukturen schaffen und bereit sein, sein Leben zu opfern“.[3] Kein Wunder also, dass zumindest Böhnhardt und Mundlos dem „Blood & Honour“-Netzwerk selbst nahe gestanden haben.

Das Antifaschistische Infoblatt berichtete im Jahr 2000 ausführlich über „Blood & Honour“: „Die konspirativen Strukturen dienen nicht nur zur Organisierung von Konzerten und dem Versand von CDs und Videos, sondern auch zum Aufbau militanter Terrorzellen. Im Herbst 1999 veröffentlichte der Hamburger Sturm (…) ein Interview mit einer ‚Nationalrevolutionären Zelle‘, die den bewaffneten Kampf propagierte. Seit Anfang dieses Jahres verbreitete B&H Scandinavia dann auf seiner Webseite ein mehrseitiges Strategiepapier zum bewaffneten Kampf, das mit der Aufforderung endet: ‚Die Zeit des Geredes ist wirklich vorbei. Wir haben ein Stadium erreicht, in dem jegliche Form der Aktion der Inaktivität vorzuziehen ist. (…) Laßt uns das multikulti, multikriminelle Inferno von ZOG zerstören. [4]

„Über Musik zum Kampf“

Unter diesem „Blood & Honour“ Credo agierten zum damaligen Zeitpunkt auch jene Strukturen, die jetzt zunehmend in den Fokus der NSU-Ermittlungen rücken. Die drei gebürtigen Chemnitzer Werner, Starke und Graupner waren Mitglieder von „CC88“, einem Zusammenschluss von Hooligans und Neonazis, die eine Vielzahl von neonazistischen Konzerten veranstalteten – darunter in der Mitte der 1990er Jahre auch einige der größten bis dato stattgefundenen Konzerte dieser Art. Eine Reihe der „CC88“-Aktivisten war gleichzeitig Mitglied der „Blood & Honour Sektion Sachsen“.

Um die Gruppierung „CC88“ sammelte sich ein ganzes Konglomerat aus Szenebands, Fanzines, rechten Läden und Veranstaltern. Aus diesem Kreis heraus wurden konspirative Konzerte organisiert, finanziell einträgliche CD-Produktionen abgewickelt und mehrere rechte Zeitschriften („Fanzines“) herausgegeben. Beispielsweise das Szenefanzine „White Supremacy“, hinter dieser Hauspostille von „Blood & Honour Sachsen“ stand Jan Werner. Er war damals Mitbetrieber von „Movement Records“, einem angesehenen Szenelabel für Neonazi-Bands. Ein weitere Label-Mitbetreiber war der nun ebenfalls in den Fokus der NSU-Ermittlungen geratene Andreas Graupner. „Movement Records“ war eine Zeit lang selbst Bestandteil des „Blood & Honour“-Netzwerkes und produzierte über 30 CDs „Blood & Honour“-naher Bands. Es galt Ende der 1990er Jahre als eines der wichtigsten rechten Plattenlabels.

Neben der CD-Produktion war der Verkauf von Merchandise-Artikeln wichtiges Standbein der Nazismusikszene, zum Vertrieb wurde auf einschlägige Szeneläden gesetzt. Ein solches Geschäft wurde durch Antje Probst aufgebaut. Gemeinsam mit ihrem Mann Michael Probst, einst Sänger einer Neonazi-Band, betreibt sie bis heute mehrere Läden mit u.a. einschlägigem Sortiment. Das Ehepaar steht bereits seit den 1990er Jahren in engem Zusammenhang mit der westsächsischen Rechtsrock-Szene. Ihre Geschäftsräume wurden am 25. Januar 2012 im Zuge der NSU-Ermittlungen durchsucht.

Produktion der Landser-CD

Über die dargestellte umfangreiche Musik- und Vertriebsstruktur floss viel Geld, bei weitem nicht nur in legale Aktivitäten. Der kurze Draht zu „Blood & Honour“ verwundert nicht. Jan Werner war zeitweilig selbst Sektionsleiter von „Blood & Honour Sachsen“. Aus dieser Zeit verfügte er über beste Kontakte in die deutsche und internationale Rechtsrock-Szene. Auf diese Finanzen und Kontakte griffen auch die Mitglieder der Band „Landser“ aus Berlin zurück. Die Band, die immer für mehr als „nur“ Musik stand und die sich bezeichnenderweise als „Terroristen mit E-Gitarre“ beschrieb, wurde im Jahr 2005 endgültig als „kriminelle Vereinigung“ verurteilt. Zuvor wurde jedoch die Herstellung der letzten Landser-CD (5) mit massiver Beteiligung sächsischer Nazistrukturen abgewickelt.

Für die konspirative Produktionsorganisation und den Vertrieb der CD war Jan Werner mit dem Szenelabel „Movement Records“ zuständig. Thomas Starke kaufte sich quasi in das Geschäft ein, indem er privat über 9.000 DM investierte und organisatorische Detailfragen klärte. Mit von der sächsischen Partie war auch der Sebnitzer Neonazi Mirko Hesse – leitende Figur des ebenfalls einflussreichen „Hammerskin“-Netzwerkes in Sachsen, sowie langjähriger Geschäftspartner von Werner und Freund des Probst-Paares. Hesse, der von Werner mit der Herstellung der CD und Layout des Booklets beauftragt worden ist, war V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Sein Name fiel bereits mehrfach in Zusammenhängen mit dem NSU.

Trotz konspirativem Vorgehen entging die Landser-Produktion den Ermittlern nicht und flog auf. Thomas Starke machte bereits am 14. November 2000 umfangreiche Aussagen beim Landeskriminalamt und fiel bei seinen Kameraden in Ungnade. Damit er seine Aussage zurücknimmt, bekam er sodann einen „Hausbesuch“ mit „zupackenden“ Argumenten. Dabei waren Antje Probst, das „Landser“-Mitglied Jean-Rene Bauer (damaliger Ehemann der heutigen Sekretärin von Holger Apfel, Susann Starke) und ein weiterer Neonazi.

Die Einschüchterungsaktion war erfolgreich, sie verhinderte aber nicht den Prozess wegen der Beteiligung an der Produktion der CD der mittlerweile als kriminelle Vereinigung verurteilten Band „Landser“ gegen Jan Werner und Thomas Starke; neben ihnen saßen noch zwei weitere Beschuldigte (Michael Häse und Sebastian Andräe) auf der Anklagebank. Das Verfahren vor dem Landgericht Dresden im Frühsommer 2005 gründete stark auf den belastenden Aussagen von Thomas Starke. Auch Jan Werner machte „detailierte“ Angaben, so das Gericht. Für beide wurden diese zu einem „sehr frühen“ Zeitpunkt im Verfahren abgelegten Geständnisse, wie ein Verteidiger zu Recht feststellte, strafmildernd gewertet, genauso wie ihre Behauptung, „aus der Szene ausgestiegen“ zu sein.

Und so erhielt Thomas Starke trotz erheblicher Vorstrafen nur eine zehnmonatige Bewährungsstrafe. Starkes einschlägiges Vorstrafenregister aus den 1990er Jahren setzte sich u.a. aus Beihilfe zur versuchten schweren Brandstiftung in Tateinheit mit Waffenbesitz, Landfriedensbruch im besonders schweren Fall (Überfall auf ein AJZ) und gefährlicher Körperverletzung zusammen.

Jan Werner, immerhin“Vertriebsleiter“, kam im Landser-Verfahren mit 22 Monaten auf Bewährung und Arbeitsstunden ebenfalls glimpflich davon. Strafmildernd in sein Urteil eingeflossen waren die sechs Monate, welche er schon in Untersuchungshaft abgesessen hatte. Auch er war bereits im November 2000 für eine „Movement Records“-Produktion u.a. wegen Volksverhetzung verurteilt worden.

Morde unter dem sehenden Auge der Behörden?

Das Gericht würdigte damals die „aktive Mitwirkung“ der Chemnitzer am Verfahren, heute wirkt aber genau das suspekt. Grund für diese „aktive Mitwirkung“ am Verfahren könnte auch gewesen sein, dass die Neonazis damit weitere Ermittlungen gegen sich verhindern wollten. Im Verfahren wurde deutlich, dass – trotz des konspirativen Vorgehens der Angeklagten – seit Beginn im Jahr 2000 die Ermittler, auch aus Karlsruhe, den Tätern auf den Fersen waren. Die Überwachung im „CC88“-Umfeld war engmaschig und zudem waren an der „Landser“-Produktion neben Hesse noch weitere V-Leute verschiedener Verfassungsschutzämter beteiligt.

Klar wird, Anfang der 2000er Jahre wurde das sächsische Unterstützerumfeld der NSU gleich durch drei behördliche Maßnahmen erfasst und durchleuchtet; die Ermittlungen gegen die „Landser“ Produktion „Ran an den Feind“, das Verbotsverfahren gegen „Blood & Honour“ und die Ermittlungen bzgl. der drei Untergetauchten. In all diese Komplexe waren mehrere Ämter eingebunden, es liefen umfangreiche Telefonüberwachungen und Observationen; selbst die Beschaffung scharfer Waffen war bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt. Die Behörden haben nicht „geschlafen“, direkt vor ihren Augen konnten sie die Organisation der Nazimordserie verfolgen.

Dass sich das Versagen der Behörden immer weiter fortsetzt, wird auch anhand der Razzia vom 25. Januar 2012 selbst deutlich. Zwar wurde die Wohnung von Andreas Graupner im baden-württembergischen Ludwigsburg laut einer Erklärung der Generalbundesanwaltschaft „überprüft“. Tatsächlich aber standen die Beamten hier vor der falschen Tür.

Weitere Kontaktpersonen aus Thüringen?

Zu zwei weiteren Durchsuchungen am 25. Januar 2012 kam es im Thüringer Saale-Holzlandkreis. In Laasdorf und im Wolfersdorfer Ortsteil Trockenborn wurden die Wohnungen von Frank Liebau und Andreas Schulz durchsucht. Sie gelten als Kontaktpersonen des Ende November verhafteten NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben. Grund für die Razzien sind Überprüfungen, wer Ende der 1990er Jahre dem Trio Waffen und Sprengstoff besorgt haben könnte bzw. über Informationen bezüglich der Waffenübergaben verfügt.

Der 1973 geborene Liebau ist als Inhaber des „Madley“, einem seit  Mitte der 1990er Jahre bestehenden „nationalen Szeneladen“ im Stadtzentrum Jenas, kein Unbekannter.[6] Andreas Schulz, der zweite durchsuchte Thüringer, ist Anteilsinhaber des „Madley“. Im Laden bzw. über den angeschlossenen Versandhandel waren u.a. Kleidungsstücke der Marken „Hooligan“, „Thor Steinar“, „Pitbull“ oder auch „Consdaple“ zu erwerben. Ebenso sollen – auf Nachfrage – auch indizierte Waren erhältlich gewesen sein. Im Jahr 1998 versuchten die Betreiber des „Madley“, einen weiteren Neonazi-Laden unter dem Namen „Hatebrothers“ in Jena-Ost zu etablieren, welcher jedoch nach sechs Monaten geschlossen wurde.

Der Name „Hatebrothers“ wurde nicht zufällig gewählt, existierte doch ebenfalls in den 1990er Jahren eine gleichnamige Skinheadclique im thüringischen Kahla und Umfeld, in der die Betreiber des „Madley“ aktiv waren. Die „Hatebrothers“ waren dem „Blood & Honour“-Umfeld zuzurechnen. So nahmen sie bspw. im Jahr 1998 an einem „Blood & Honour“-Aufmarsch in Ungarn teil, wo sie mit eigenem Transparent mit dem Aufdruck „Hatebrothers 88 Kahla“ auftraten.

 

Der Bezug zum als NSU-Unterstützer verhafteten Ralf Wohlleben ergibt sich auch über das „Mitteldeutsche Sprachrohr“, einer nationalen „Jugend- und Schülerzeitung für Thüringen“, die von 2003 bis 2006 kostenfrei vertrieben wurde. In dieser Zeitschrift wurden seitens der „Madley“-Betreiber in mehreren Ausgaben Gutscheine mit einem Rabattangebot von 10% für einen Einkauf im „Madley“ veröffentlicht. Wohlleben äußerte sich zur Nazischülerzeitung „Mitteldeutsches Sprachrohr“ wie folgt: „Also Jugendarbeit ist immer wichtig, weil Nachwuchs wird immer gebraucht, es wird überall gebraucht und grade die Schülerzeitung is natürlich ein Ansatzpunkt, weil weil man da seine Meinung relativ gut auch an Schüler rüberbringen kann,  ähhm das nachlesbar ist und von daher ist es eigentlich für die Jugendarbeit ziemlich wichtig.“[7]

Die Proteste gegen den Laden dauerten mehrere Jahre an. Im Jahr 2008 verklagte Frank Liebau schließlich eine Jenaer Aktivistin, die öffentlich über die Hintergründe des „Madley“ informiert hatte, und forderte: „Sie soll mich nicht wieder als Naziladen bezeichnen“. Liebau hat den Prozess verloren und überwies die zu zahlenden Kosten u.a. unter dem Verwendungszweck „Madley 88 FÜRS REICH“.

2009 – nach über zehn erfolgreichen Geschäftsjahren – sprach der Vermieter scheinbar wegen des öffentlichen Drucks schließlich die Kündigung für das „Madley“ aus.

[1] Benannt nach der Losung der Hitlerjugend „Blut und Ehre“
[2] Die Abkürzung steht für „Chemnitz Concerts Heil Hitler“
[3] „Blood & Honour“ – Magazin der Division Deutschland für die Sektionen Berlin, Brandenburg, Sachsen, Würtemberg und Baden, Ausgabe Nr. 2/96
[4] AIB, Nr. 51, 2000; ZOG bedeutet „Zionist Occupied Government“ – „Zionistisch Besetzte (Welt)Regierung“ und steht in der Naziszene als Code für eine angebliche jüdische Weltherrschaft
[5] Vgl. AIB, Nr. 61, 2003: „Profis, Geld und Subkultur“
[6] Landesarbeitsgemeinschaft Antirassismus/Antifaschismus (LAG) Broschüre „rechtsextreme Häuser in Thüringen“, 2003, S. 14 f.
[7] zitiert nach: vimeo.com/33773872

 

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