Pull-Effekt: Sachsen bietet Exklusivausbildung für faschistische Jurist*innen

Wer gegen die allgemeinen Menschenrechte ankämpft, sollte im Gerichtssaal nur auf der Anklagebank etwas zu sagen haben – so zumindest die Theorie in Deutschland seit den Nürnberger Prozessen. Anders sieht man das in Sachsen. Hier werden Faschist*innen auch nach höchstrichterlichen Urteilen noch Rosen auf den Weg gestreut.

Doch der Reihe nach: Im Oktober 2022 entschied der Sächsische Verfassungsgerichtshof (SächsVerfGH) in einem umstrittenen Urteil, dass Sachsen dem Dritten Weg-Kader Matthias Bauerfeind, sein Rechtsreferendariat ermöglichen müsse. In Bayern und Thüringen war der langjährige Neonazi mit seinen Klagen – wie in vergleichbaren Fällen aller Bundesländer seit einem Leiturteil von 1975 üblichgescheitert. Bauerfeind zog im bayerischen Fall sogar vor das zuständige Bundesgericht und verlor – allerdings zu spät, denn da war der Neonazi, dank der eigensinnigen Auslegung des höchsten sächsischen Gerichts, bereits fertig ausgebildeter Volljurist. Tür und Tor stehen neonazistischen Jurist*innen seitdem in Sachsen offen.

Matthias Bauerfeind

Der 1984 geborene Matthias Bauerfeind war von 2005 bis 2012 Funktionär der NPD und ab 2009 Kern einer Kameradschaft im „Freies Netz Süd“. Von 2005 bis 2013 wurde er fünf Mal verurteilt, u.a. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Nach dem Verbot des „Freien Netz“ im Jahr 2014, baute er als „stellvertretender Gebietsleiter Süd“ den Dritten Weg in Bayern mit auf. Dokumentiert sind beispielsweise seine Auftritte 2016 in Nürnberg, 2017 in Fulda und 2019 in Kempten. Bemerkenswert, aber wenig überraschend: Zuletzt fiel der auf Strafrecht spezialisierte Bauerfeind damit auf, dass er von mehreren baden-württembergischen AfD-Kreistagsfraktionen das anwaltliche Mandat in Verwaltungssachen erhielt.

Wir wollen euch hier den jüngsten Fall des sächsischen Sonderwegs vorstellen:

Im Mai 2025 wurde der Faschist John Hoewer aufgrund seiner Tätigkeit und Publikationen bei der Jungen Alternativen, dem extrem rechten Verein Ein Prozent, und dem offen faschistischen Jungeuropa Verlag als Rechtsreferendar in Rheinland-Pfalz abgelehnt. In seiner Begründung schrieb das Gericht in Koblenz, dass es in einer „wehrhaften“ Demokratie „(…) dem Staat [nicht] zuzumuten [sei], verfassungsuntreue Bewerber in den Vorbereitungsdienst aufnehmen zu müssen.“

Doch dann bewarb sich Hoewer in Sachsen.

Nachdem das Oberlandesgericht (OLG) Hoewer zwei mal aus Zweifel an seiner Verfassungstreue ablehnte, entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Bautzen im November 2025, dass Hoewer unverzüglich seine juristische Ausbildung beim Oberlandesgericht (OLG) Dresden aufnehmen dürfe. Das OVG Bautzen sah sich dabei an das kritisierte Sonderurteil des SächsVerfGH gebunden. Es bekräftigte seine Zweifel an der Richtigkeit dieses Urteils sogar nachdrücklich. Trotzdem verzichtete es auf eine Weiterleitung des Falls an das zuständige Bundesgericht (BVerfG), welches 2024 im Fall Bauerfeind doch eindeutig im Widerspruch zum SächsVerfGH entschieden hatte. Eine verpasste Gelegenheit. Und so bleibt das Motto der sächsischen Rechtspraxis vorerst: Nur weil man Faschisten ablehnen kann, heißt das noch lange nicht, dass man sie auch ablehnen muss. Denn in Sachsen reicht es seit 2022 nicht aus,  nachweislich einer menschenverachtenden Ideologie anzuhängen. Man muss sich schon strafbar machen im Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung.

John Hoewer

Der neu-rechte Kader John Hoewer, Jahrgang 1987, ist im April 2025 von seinem stellvertretenden Vorstandsposten bei Ein Prozent zurückgetreten. Zwei Monate nachdem er sich erstmals in Sachsen beworben hatte. Dabei ist ihm ein aktives Eintreten gegen die „freiheitliche demokratische Grundordnung“, welches dem Bundesverfassungsgericht 2024 als Ablehnungsgrund für ein Rechtsreferendariat genügte, wahrlich nicht schwer nachzuweisen:

Schon im Januar 2017 soll Hoewer in handgreiflichen Auseinandersetzungen mit linken Demonstranten in einem Hörsaal der Universität Magdeburg verwickelt gewesen sein. Im April 2017 dann begleitete er den laut eigener Aussage den „Rechtsradikalen“ Philip Stein zu einer Veranstaltung der italienischen Faschisten von Casa Pound in Rom. Ebenfalls 2017, im Juli, besuchte John Hoewer gemeinsam mit weiteren AfDlern, JNlern und anderen Neonazis das „Deutschland-Seminar“ der extrem rechten Braunschweiger Burschenschaft Thuringia. Im Jahr 2021 nahm John Hoewer nachweislich an Kampfsportrainings mit anderen Neonazis der Jungen Alternative, der AfD und der NPD (heute Die Heimat) in Berlin Weißensee teil. Im Jahr 2022 war Hoewer dann Beisitzer im Verbandsrat der extrem rechten Deutschen Burschenschaft (DB). Ja, Hoewer ist Burschenschaftler, und zwar bei Germania Köln, Raczeks Breslau zu Bonn, und dort fechtet er vor NS-“Kunst“ mit Hakenkreuz. Die Burschenschaft ist übrigens die, die 2011 einen Antrag bei der DB einbrachten, der als „Ariernachweis“ bekannt wurde. Geschenkt, dass Hoewer auch jahrelang zum Jungen Alternative Landesvorstand in Sachsen-Anhalt gehörte und mindestens von Januar 2018 bis März 2025 für den AfD-Fraktionsvize im Bundestag, Sebastian Münzenmaier (Mainzer Burschenschaft Germania Halle), als Mitarbeiter angestellt war.

Diese Gesetzeslage und Rechtssprechung, der sächsische Sonderweg, ist in Deutschland einmalig. Im Raum steht der Verdacht, dass die Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes von 2022 dem geltenden Bundesrecht widerspricht. Dass es auch anders geht, zeigt das Nachbarland Thüringen. So wies das Thüringer Verfassungsgericht im November 2025 eine AfD-Klage ab und entschied, dass Personen nicht zum juristischen Vorbereitungsdienst zugelassen werden sollen, wenn sie gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen.

Doch Bauerfeind und Hoewer sind nicht die einzigen, denen der sächsische Sonderweg zugutekam. Der Neonazi Brian Engelmann durfte bereits im November 2018 sein Rechtsreferendariat in Chemnitz antreten, obwohl man um sein Weltbild wusste – im selben Monat stand er für seine Beteiligung am Überfall auf den alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz mit anderen Neonazis vor Gericht. Und selbst nachdem sein Urteil von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung im Jahr 2020 für rechtskräftig erklärt wurde, entschied das Oberlandesgericht Dresden (OLG), dass Engelmann seine juristische Ausbildung abschließen dürfe. Jetzt ist der Mann mit den Hakenkreuzen auf der rechten Schulter Volljurist und in der Rechtsanwaltskanzlei des Leipziger Szene-Anwalts Arndt Hohnstädter angestellt.

Marko Zschörner und Brian Engelmann (mit tätowiertem Hakenkreuz-Muster)

Brian Engelmann

Der 1992 in Freital geborene Brian Engelmann ist mehrfach vorbestrafter Gewalttäter und Kampfsportler. Schon 2012 griff Engelmann in eine Auseinandersetzung in einer Dresdner Diskothek ein. Dabei brach er dem Angreifer mehrere Gesichtsknochen und zerstörte ihm diverse Zähne, als er ihm gegen den Kopf trat. Im selben Jahr zog Engelmann für sein Jura-Studium nach Leipzig und fiel dort bald als Teil des “Bushido Sportcenter Leipzig” (ehemals “Bushido Free Fight Team”) von Marko Zschörner auf. In den folgenden Jahren trat Engelmann immer wieder als MMA-Kämpfer bei einschlägigen Veranstaltungen in Erscheinung. So gab es z.B. 2013 einen Kampf in Köthen gegen Kevin Kraft – ein weiterer Neonazi, dem zusammen er schließlich am 11.01.2016, im Nachgang des Angriffs auf Leipzig-Connewitz, von der Polizei festgesetzt wurde. Gemeinsam mit Mitgliedern der Neonazi-Struktur „HooNaRa“ („Hooligans, Nazis, Rassisten“), wie beispielsweise Martin Krause, arbeitete Engelmann jahrelang beim Leipziger Sicherheitsunternehmen “Black Rainbow Security”. Auch nach Abschluss seines zweiten Staatsexamens trat Engelmann weiterhin bei Neonazi-Milieu-Veranstaltungen, wie 2023 bei „Ostdeutschland kämpft“, auf.

Eine Gesetzesänderung, wie aktuell gefordert, oder eine juristische Entscheidung auf höchster Ebene lassen zwei Jahre nach dem SächsVerfGH-Urteil immer noch auf sich warten. Immerhin scheint nun endlich auch die Sächsische Landesregierung, in Person der Justizministerin Constanze Geiert (CDU), gemerkt zu haben, dass etwas faul ist im Freistaat Sachsen. So will man am Bundesverfassungsgericht mit einer abstrakten Normenkontrolle gegen die diesbezügliche Rechtsauslegung des eigenen, Sächsischen Verfassungsgerichts vorgehen. Bis dahin bleibt genau zu beobachten, wie sich der „Pull-Effekt“ auf faschistische Jurist*innen nach Sachsen weiterentwickelt.