Am 26. Januar kam es in Freital zu einem Polizeieinsatz. Als die Zwillingsbrüder Jason und Jean Neumann mit einer Waffe hantierten, löste sich mutmasslich ein Schuss und traf Jean am Oberkörper. Der 20-Jährige wurde schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert und erlag kurz darauf seinen Verletzungen. Die Familie ist in der sächsischen Kleinstadt nicht unbekannt. Sie ist tief verankert in der Nazi- und Rockerszene.
Die Polizei durchsuchte neben dem Tatort auf der Dresdner Straße in Freital auch eine weitere Wohnung in der Pestalozzistraße 7, die Wohnung des Vaters der Zwillinge, Sascha Neumann. Bei ihm wurden neben NS-Devotionalien auch ein Luftgewehr, Patronen und ein Schalldämpfer gefunden. Die Polizei ermittelt nun wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Es ist nicht auszuschließen, dass die Tatwaffe vom Vater der beiden Söhne stammt.
Der Rocker
Sascha Neumann ist ein Altbekannter aus der sächsischen Nazi- und Rockerszene. Der 41-Jährige betreibt seit Anfang der 2010er Jahre das Tattoostudio „Schlachthaus“ in Freital. Er war Mitglied der verbotenen Rockervereinigung „Gremium MC“, mit der er mehrfach im Fokus der Ermittlungsbehörden stand. Ende der 2000er stand Neumann mit dem Gremium-Member Jarno Ebert und dem Nazikonzert-Veranstalter Tony Beger vor Gericht. 2007 hatte er mit weiteren Personen – der Großteil in Kutte des „Gremium MC“ – Polizisten aus einem Klub in Freital herausgedrängt und ihnen den Zutritt verwehrt. Wenige Jahre später ermittelte die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder gegen Neumann wegen versuchten Mordes im Rockermilieu. Bei der damaligen Razzia seiner Wohnung fanden die Ermittler Dokumente aus dem „Polizeilichen Auskunftssystem Sachsen“ (PASS). Sie sollen ihm von einem gut bekannten Polizisten ausgehändigt worden sein. Das Verfahren gegen den betreffenden Beamten wurde jedoch 2015 eingestellt, da ihm eine Beziehung zu Neumann nicht nachgewiesen werden konnte.
Der Nazigitarrist
Neumann spielt in zwei bekannten Nazibands Gitarre: bei „Sachsenblut“ und „Stahlwerk“. Die beiden Bands aus dem Genre des „Rock against Communism“ veröffentlichten ihre Alben bei dem im Chemnitz ansässigen Label „PC-Records“ sowie bei dem ehemals in Dresden, inzwischen in Lindenau ansässigen Label „OPOS Records“. „Sachsenblut“ und „Stahlwerk“ traten, wie in der Szene üblich, vor allem bei klandestin organisierten Konzerten auf. Eines davon organisierte die rechtsterroristische Vereinigung „Combat 18“ (C18) am 9. September 2017 im südschwedischen Vallåkra. Unter den knapp 120 Teilnehmern waren C18-Mitglieder aus Skandinavien, Deutschland, Italien und der Schweiz. „Sachsenblut“ war auch als Band im Gespräch, als C18 zusammen mit „Brigade 8“ am 1. Dezember 2018 eine Veranstaltung mit Konzert in Mücka durchführte. Dies geht aus einem internen Dokument des Innenministeriums hervor. Im Januar 2020 wurde „Combat 18“ durch das Bundesinnenministerium wegen ihrer Verfassungsfeindlichkeit verboten.
Im Sommer 2016 trat Neumann mit „Sachsenblut“ beim „Tag der nationalen Jugend“ in Sömmerda auf. Mit beim Festival dabei waren auch seine Söhne Jesse, Jason und Jean. Der älteste Sohn Jesse spielt wie der Vater Gitarre, auf Fotos ist er mit Thor-Steinar-Klamotten zu sehen oder im Pullover des „Schlachthaus“ Tattoo-Studio. Auf dem Instagram Profil von Jason Neumann prangt in Frakturschrift „Odin statt Jesus“. Er folgt neben der neonazistischen NPD auch der AfD sowie der Dresdner Kameradschaft „Werra Elbflorenz“.
Begleitmusik zu Mord und Totschlag
Während „Sachsenblut“ ihr einziges Album 2013 veröffentlichten, brachte „Stahlwerk“ nach einer vierjährigen Pause im Dezember 2020 ihr drittes Album „Idealist“ bei PC-Records heraus. Titel wie „Verräter“, „Stalingrad“ oder „Alte Kraft in neuen Glanz“ lassen keine Zweifel an ihrer Ideologie. Einen Monat vor der Veröffentlichung gedachte die Band auf Facebook dem 1993 verstorbenen Sänger Ian Stuart Donaldson, Frontmann der britischen Naziband „Screwdriver“ und Begründer des „Blood and Honour“-Netzwerkes. Dass Mord für „Stahlwerk“ ein Mittel der politischen Auseinandersetzung ist, daraus macht die Band keinen Hehl. Auf ihrer ersten, 2012 veröffentlichten Platte, beschreiben sie in dem Lied „Tag X“ eindrücklich den Umgang mit politischen Gegner:innen: “Wir haben es satt, können es nicht verstehen, was ihr auch tut, um uns im Knast zu sehen. Es kommt die Zeit, da steht ihr an der Wand, es kommt die Zeit, da brennt das ganze Land!”. Der „Tag X“ ist ein in der Naziszene und in rechten Kreisen weit verbreitetes Konzept und beschreibt den Tag, an dem das bestehende System angeblich zusammenbricht und die Machtergreifung mittels Liquiderung von politischen Gegner:innen beginnt. Um auf diesen Tag vorbereitet zu sein, werden u.a. Waffen gehortet.
Tödliche Ideologie
Seit Jahren nimmt die Anzahl bewaffneter Nazis zu. Laut einer aktuellen kleinen Anfrage im Sächsischen Landtag besitzen 106 Personen, »die der rechtsextremistischen Szene, und elf Personen, die den „Reichsbürgern und Selbstverwaltern“ zugerechnet werden«, eine „waffenrechtliche Erlaubnis“. Diese Zahlen alleine sind bereits besorgniserregend, lassen jedoch außen vor, dass Nazis auch ohne „Erlaubnis“ Waffen besitzen und verwenden. Der erst kürzlich wegen des Mordes am Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke verurteilte und der versuchten Tötung von Ahmed I. beschuldigte Stefan Ernst ist illegal an die Waffe gekommen.
Und auch in Freital liegt nach dem Todesfall die Vermutung nahe, dass hier Nazis in Besitz von Schusswaffen sind. Denn die Tatwaffe scheint aus dem Hause Sascha Neumann zu stammen, nur so ist plausibel, dass bei der Durchsuchung seiner Wohnung noch am Tatabend zwar Schalldämpfer und Patronen, jedoch keine dazugehörige Waffe gefunden wurde.
Gerade die zurück liegenden Jahre in Freital haben gezeigt, wie brisant diese Möglichkeit ist. 2015 hat die inzwischen als rechtsterroristische Vereinigung verurteilte „Gruppe Freital“ mehrere Sprengstoffanschläge mit manipulierter illegaler Pyrotechnik begangen, den letzten am 1. November 2015 auf eine Wohnung Geflüchteter, die die Explosion mit Glück überlebten. Zusammengefunden hatte sich die Gruppe im Zuge der Antiasylproteste, die im März 2015 in der Stadt begannen und im Juni in einer einwöchigen Belagerung der Asylunterkunft „Hotel Leonardo“ eskalierten. In dieser Zeit lief Pegida seit einem halben Jahr unter Beteiligung Tausender durch Dresden, hatten sich unzählige Ableger in sächsischen Städten gebildet, fanden täglich rassistisch motivierte Kundgebungen, Blockaden (Übigau), Ausschreitungen (Heidenau) und Brandstiftungen (Bautzen) gegen die Aufnahme Geflüchteter statt. In diesem rassistischen und aggressiven Klima nahm die Gewalt deutlich zu: Angriffe auf Geflüchtete, auf jene, die sie unterstützten und auf jene, die der Hetze widersprachen und sich den Nazis in den Weg stellten. Und es dauerte kaum ein halbes Jahr, dass sich in der „Gruppe Freital“ Nazis und Rassisten zusammenfanden, die zu gezielten, tödlichen Anschlägen bereit waren. Bis zu ihrer Verhaftung nutzten sie selbstgebaute Sprengsätze aus illegaler Pyrotechnik, allerdings übten sie sich auch schon im Rohrbombenbau. Die Beschaffung von scharfen Schusswaffen wäre ein naheliegender nächster Schritt gewesen.
So sind die jüngsten Ereignisse in Freital ein Warnsignal und eine Erinnerung für all jene, die schnell vergessen, dass Nazis ihre Ideologie ernst meinen, ihren Worten auch Taten folgen lassen und bereit sind, die zu töten, die sie als Feinde ausgemacht haben. Sie zeigen auch, dass die Behörden trotz langer Kenntnis rechtsterroristischer Gefahren, die notwendigen Konsequenzen entgegen anderslautender Statements weiterhin nicht oder nur unzureichend ziehen.
Nazis entwaffnen! Für einen konsequenten Antifaschismus!