Infoflyer zur Neonazi-Demonstration am 27.07.2002 in Dresden

Am 27. Juli 02 will das „Aktionsbündnis Dresden“ unter dem Motto „Gegen den antifaschistischen Konsens in Dresden“ durch die Neustadt demonstrieren. Angekündigt wurde der Aufmarsch beim „Aktionsbüro Mitte“ in Sachsen-Anhalt. Die Dresdner Nazis knüpfen damit an eine „Kampagne“ der Freien Kameradschaften in Sachsen-Anhalt an. Der Aufmarsch am 1. Mai 2002 in Dresden ist ein gutes Beispiel dafür, was wir erwarten können.

Blick zurück – 1. Mai 02

Zu den Gegenaktivitäten wollen wir nur soviel sagen: Gemessen an den vorangegangenen Jahren, war es ein erfolgreicher 1. Mai in Dresden. Es hat sich als richtig erwiesen, sich nicht auf das wahrscheinlich einmalig bleibende bürgerliche Spektakel zu verlassen, sondern für eigene Aktionen zu mobilisieren und sie vor allem zu organisieren.

Trotzdem sollte an dieser Stelle nicht vergessen werden, dass das Funktionieren einer Blockade nicht unwesentlich von der Taktik der Polizei abhängt.

Der 8. Mai 02 in Dresden und die letzten Aufmärsche in Leipzig haben gezeigt, dass es auch anders laufen kann. Prinzipiell sollte sich die Antifa überlegen, ob sie immer dort Naziaufmärsche verhindern will, wo die höchste Polizeipräsenz ist.
Der Angriff auf eine S-Bahn mit 30 anreisenden Nazis aus der Sächsischen Schweiz sei hier als positives Beispiel erwähnt.

Der Aufmarsch selbst war nicht weiter spektakulär. Anmelder war Matthias Paul aus Weinböhla, geredet haben der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt, der in seiner Rede das World Trade Centre Dresden als Brutstätte des internationalen Kapitalismus ausmachte, und der Landesvorsitzende Winfried Petzold, der sein übliches wirres Zeug erzählte.
Der Dresdner Anti-Antifa-Aktivist Sven Hagendorf hat neben einigen anderen gefilmt.
Obwohl dem Aufruf des NPD-Landesverbandes Sachsen am 1. Mai diesen Jahres zwar immer noch ca. 900 Neonazis und damit nur 100 weniger als im letzten Jahr folgten, machte der Ablauf mehr als deutlich, dass der Einfluss der Partei auf die rechte Szene deutlich zurückgegangen ist.

Interessant waren für uns die Ereignisse vor dem Aufmarsch der NPD. Ca. 250 Nazis verließen ihren Zug vorzeitig am Neustädter Bahnhof und marschierten dann für alle überraschend und dadurch unbehelligt vorbei an der Synagoge zum Treffpunkt der NPD. Erst auf dem Terrassenufer gelang es Gegendemonstranten ihnen den Weg zu versperren.
Sogenannte „freie Kameradschaften“ aus Sachsen und Sachsen-Anhalt grenzten sich mit diesem Marsch und einem eigenen Block auf der Demonstration selbst von der NPD ab. Damit zeigte sich öffentlich das Resultat der Diskussion, inwieweit überhaupt noch an Demonstrationen der NPD teilgenommen werden sollte.
Letzter Auslöser dieser kontrovers geführten Diskussion, die vor allem unter „freien Kräften“ geführt wird, ist der Umgang der NPD-Führung mit, im Zuge des NPD-Verbotsverfahrens enttarnten Spitzeln des Verfassungsschutzes auf allen Ebenen der Partei.
Auf mehreren Internetseiten wurde dazu aufgerufen, am 1. Mai die NPD-Demonstrationen zu boykottieren.

Blick hinein

Das Problem der VS-Spitzel ist dabei Mittel zum Zweck. Seit Monaten wird innerhalb und außerhalb der NPD um den politischen Kurs gestritten, was durch die Anträge von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat zum Verbot der NPD beim Bundesverfassungsgericht nur noch forciert wurde.
Die sogenannte „innerparteiliche revolutionäre Opposition“, die sich um Steffen Hupka (ex-Landesvorsitzender der NPD Sachsen-Anhalt) in der „Revolutionären Plattform“ in der NPD scharte, kritisierte vor allem mangelnde politische Strategie der Parteispitze, die Aufnahme von Neumitgliedern nach dem Motto „Masse statt Klasse“ und die daraus resultierende starke Mitgliederfluktuation in der Partei. Hatte Hupka zur Auflösung der Plattform Anfang des Jahres 2002 noch verkündet „sie hätte ihre Ziele weitgehend erreicht“ war es wohl eher die Einsicht, in der NPD nichts mehr reißen zu können.
Der letzte Versuch beim Bundesparteitag im März 2002 mit einer eigenen Vorschlagsliste für den Parteivorstand den Streit für sich zu entscheiden, endete in einem Desaster. Hupka resümiert: „…der NPD – Bundesparteitag am 16./17.3.2002 hat das erwartete Ergebnis gebracht. Voigt ist mit ca. 2/3 der Stimmen erneut zum Parteivorsitzenden gewählt wurden. Seine „Wunschliste“ für die übrige Besetzung des PVs kam durch und besteht im wesentlichen aus den alten Köpfen und einigen neuen Leuten, die damit offenbar kein Problem haben. Schon Monate vorher zeichnete sich immer deutlicher ab, dass wir unser Ziel – die Ablösung des Parteivorstandes – nicht erreichen würden.“

Auffällig an Hupkas Vorschlagsliste für einen neuen Parteivorstand ist jedoch, dass allein vier der Kandidaten in Sachsen aktiv sind. Der ehemalige NPD-Parteivorsitzende und Neusachse Günter Deckert (Gränitz bei Freiberg) und die schon seit Jahren bekannten Jürgen Krumpholz (Görlitz), Michael Kubitzki (Görlitz) und Ronny Thomas (Dresden). Dass Kameradschaften aus Sachsen-Anhalt, der Gegend in der Steffen Hupka sein Unwesen treibt, Dresden für ihre Demonstration der Stärke ausgesucht haben, ist daher sicherlich kein Zufall.
Seit mindestens zwei Jahren gibt es in Dresden die Bestrebung, sich in Kameradschaftsstrukturen zu organisieren. Mit bisher eher mäßigem Erfolg. Zentrale Figur der „Freien Kräfte Dresden“ in der Öffentlichkeit ist dabei Ronny Thomas. Bis zu seiner zweijährigen Haftstrafe 1998 wegen Körperverletzung war er Kreisverbandsvorsitzender der NPD Dresden. Bei fast allen „spontanen“ Aktionen tritt er als Verantwortlicher auf und führt die Verhandlungen mit der Polizei.
Zum Beispiel am 07. Oktober 2001 zur Mahnwache „Gegen den Kriegswahn der Imperialisten“, am 1.Mai 2002 unter der Augustusbrücke und am 24.05.2002 zur Eröffnungsparty der Neo-Nazikneipe „Thor“.
Die Aktionsformen der „Freien Kräfte Dresden“ reichen vom Nutzen offizieller politischer Veranstaltungen, wie am 17.Juni letzten und diesen Jahres am Postplatz, über aggressive Störaktionen am 9. November 2001 zur Gedenkveranstaltung an der Synagoge, bis hin zu gewalttätigen Angriffen am 09.12.2001 auf den Treffpunkt zur Abfahrt nach Bernsdorf. Das Mobilisierungspotential liegt bei 20 bis 30 Personen.
Von den Veranstaltungen der „Junge Landsmannschaft Ostpreußen“ am 13.Februar und 8.Mai abgesehen, sind alle nennenswerten Aktionen in Dresden auf die „Freien Kräfte“ zurückzuführen.

Der NPD-Kreisverband tritt organisatorisch nur noch sporadisch auf. Der KV-Vorsitzende Sven Hagendorf ist am 27.07.2002 stellvertretender Versammlungsleiter, Dirk Oefler und Hagendorf wollten Direktkandidaten für den Bundestag werden. Der Anti-Antifa-Filmer Hagendorf ist zwar eher den Freien Kräften zuzurechnen, aber die personellen Grenzen zwischen den genannten Organisationen waren in Dresden schon immer fließend.
Es bleibt abzuwarten, ob der eigene Treffpunkt, die Kneipe „Thor“ und der sogenannte „Dresdner Rundbrief“ zu einer Festigung der Strukturen führen werden.

Blick nach Sachsen-Anhalt

Diverse Kameradschaften aus Sachsen-Anhalt u.a. die „Freien Nationalisten Dessau/Anhalt“, die „Freien Nationalisten Köthen“, der „Selbstschutz Sachsen-Anhalt“, „freie“ Nationalisten aus Halle, der „Nationale Widerstand Magdeburg“ und Nazis aus Leipzig wurden von den sogenannten „Freien Kräften Sachsen“ aus Dresden am Neustädter Bahnhof in Empfang genommen.
Auf der Demonstration selbst wurden diese ca. 250 dann durch den „Thüringer Heimatschutz“, die „Kameradschaft Gera“, „Odins Legion“ (Ostsachsen) und Kameraden aus der Sächsischen Schweiz verstärkt. Damit stellten sogenannte „Freie Kameradschaften“ knapp die Hälfte der Teilnehmer der NPD Demonstration.

Die sachsen-anhaltinischen Kameradschaften sind momentan sehr aktionistisch und reiselustig.
Nach dem 1.Mai nahmen sie an fünf Demonstrationen teil. Am 08.06.02 in Leipzig gegen die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944“, am 17.06.02 in Bitterfeld am „Gedenkmarsch, für die Opfer des 17. Juni 1953“, angemeldet durch Andreas Reiche (Kameradschaft Köthen) mit ca.120 Teilnehmern, am 06.07.02 in Magdeburg unter dem Motto „Antifa verbieten“ mit ca.230 Nazis, am 12.07.02 in Gardelegen unter dem gleichen Motto mit ca.80 Kameraden und am 13.07.02 in Leipzig, wo sie von den knapp 400 Teilnehmern ca. die Hälfte stellten. Zwischen 100 und 200 Nazis ist das Mobilisierungspotential in Sachsen-Anhalt, das wir auch am 27.07.02 in Dresden erwarten können.

In Sachsen-Anhalt haben sich freie Kameradschaften als Organisationsform schon seit ca. 5 Jahren etabliert. Dadurch sind die Strukturen ausgeprägter und in Sachsen höchstens mit den verbotenen „Skinheads Sächsische Schweiz“ vergleichbar. Dabei bestehen regionale Unterschiede. Den Schwerpunkt sehen wir gegenwärtig im Raum Halle, Dessau und Köthen. Zwar gab es auch hier über die Jahre eine Fluktuation, Gruppenauflösungen und Gruppenneugründungen, aber über einzelne Personen konnte eine gewisse Kontinuität erreicht werden.
Eine dieser Personen ist Mirko Appelt von der „Kameradschaft Klötze“ und „Chef“ des „Selbstschutz Sachsen-Anhalt. Der „Selbstschutz Sachsen-Anhalt“ setzt sich aus Mitgliedern verschiedener Kameradschaften zusammen und übernimmt auch überregional Ordnerdienste bei Demonstrationen und Veranstaltungen von NPD und freien Kameradschaften.
Sven Liebich aus Halle, seit Jahren im inzwischen verbotenen „Blood & Honour- Netzwerk“ aktiv, kann ebenfalls dazu gezählt werden. Er war bis 1999 Betreiber des „Ultima Tonträger-Vertriebs“ , eröffnete im selben Jahr den Neonaziladen „Midgard“ in Leipzig und war für Herstellung und Vertrieb des Fanzines „The New Dawn“ der „Blood& Honour Sektion Sachsen-Anhalt“ verantwortlich. Seit Anfang 2000 betreibt er in Halle den Nazishop „The Last Resort“. Liebich, der auf Demonstrationen immer mit Megafon koordinierend auftritt, ist auch maßgeblich am „Nationalen Beobachter Halle/Saale“ beteiligt.

Auffällig an der Kameradschaftsszene in Sachsen-Anhalt ist ihre starke Verknüpfung mit der Nazisubkultur. Ein Beispiel dafür ist Dessau. Das Transparent der „Freien Nationalisten Dessau/Anhalt“ tragen auf fast jeder Demonstration u.a. Ronny Göbel und Stefan Ep(p)ert. Ronny Göbel betreibt die Internetseite „rockoi.de“. Der weitaus größere Teil entspricht allerdings nicht dem klassischen Naziskinheadbild, sondern geht in Richtung Hardcore-Outfit. Gefärbte Bärte, Piercings und Iros sind vor allem bei sachsen-anhaltinischen Nazis nichts ungewöhnliches. Florian Fuhrmann, Anti-Antifa-Aktivist aus Magdeburg ist ein gutes Beispiel dafür.

Von „Antifa verbieten“ über „Stoppt die Kumpanei zwischen Staat und Antifa“ bis hin zu „Gegen den antifaschistischen Konsens“

Anti-Antifa Arbeit ist seit jeher Bestandteil der Politik von Nazis. Das Thema wurde mal mehr mal weniger forciert. Bereits in der ersten Ausgabe des „Nationalen Beobachters Halle/Saale“ im Jahr 2000 wurde dazu aufgerufen, Daten über Antifas zu sammeln. „Zur Vorbeugung und Aufklärung von linksterroristischen Straftaten benötigen wir alle erdenklichen Informationen….“ (Nationaler Beobachter 01/2000).
Jetzt, im Juni 2002 heißt es im Internet „Aus gegebenem wichtigem Anlass fordern wir alle Kameradinnen und Kameraden auf, sich verstärkt der präventiven Verbrechensbekämpfung zu widmen. (…) Macht diese Straftäter unter Euch bekannt, so daß Fälle des Nichtbekanntseins der Täter mit der Zeit abnehmen werden. Protokolliert Fälle von Übergriffen und setzt Euch mit uns in Verbindung! So werden wir es in Zukunft schaffen, die kriminellen Umtriebe von Antifa-Banditen einzudämmen!“
Die Konsequenzen von Anti-Antifa Arbeit reichen von Einschüchterung bis hin zu gewalttätigen Angriffen. Im Juni diesen Jahres gab es zwei Brandanschläge auf linke Projekte in Halle und Gardelegen.
Aufgrund der mutmaßlichen Reaktion darauf, das Ausbrennen einer Nazikneipe in Magdeburg, starteten die sachsen-anhaltinischen Kameradschaften eine populistische „Kampagne“ die extrem verschwörungstheoretische Züge trägt. Hieß es zunächst: „Mit Abstand betrachtet fällt diese „Anschlagsserie“ gerade in den Zeitraum der Diskussion um die Streichung der Fördergelder von sog. „Gegen Rechts-Projekten“. Dies hilft den Gegnern dieser Streichungen bei ihrer Argumentation, dass es sehr wohl eine präsente Gefahr von Rechts gäbe.“ – die Linken zünden sich also ihre Häuser selbst an, heißt es dann weiter: „Es ist nicht auszuschließen, daß die Anschläge weder von rechter noch von linker Seite ausgeführt wurden, sondern hier eine 3te sich freuende Partei im Hintergrund am Werken ist. Wem nützt es? Sollte sich jeder aufmerksame Beobachter hier fragen!“

Mit den beiden bereits genannten Demonstrationen in Magdeburg und Gardelegen, versuchten sie dieser absurden Theorie Ausdruck zu verleihen. Die fehlende Substanz ihrer „Kampagne“ zeigt sich an den immer gleichen Beiträgen von Sven Liebich, zuletzt am 13.07.02 in Leipzig. Außer zum „Miteinander e.V.“ und einem Mitarbeiter dieses Vereines, haben sie nichts zum Thema zu sagen. Dass sich nicht nur in Sachsen-Anhalt ausgerechnet jene, die bei Demonstrationen immer Schwierigkeiten haben, genug Ordner ohne Vorstrafen zu finden, als die von allen verfolgte Unschuld darstellen, zeigt sich jetzt auch am 27.07.02 in Dresden. So heißt es im Aufruf des „Aktionsbündnis“:
„Wir, die Deutschen, die es noch sein wollen, weisen mit dieser Demonstration auf die skandalösen Verflechtungen zwischen kriminellen und gewalttätigen Antifabanden und städtischen Behörden des Ordnungsamtes, sowie den diesen Staat sichernden Organen des Staatsschutzes (politische Polizei) bis hin zu Fraktionsmitgliedern des Dresdner Stadtrates und des Sächsischen Landtages, hin.“ – fehlt nur noch schlechtes Wetter!

27.07.2002 Neo-Nazi-Aufmarsch in Dresden verhindern
smash anti-antifa