Am 1. Mai 2009 marschierten etwa 230 Nazis durch Dresden und knapp die doppelte Anzahl durch Freiberg. Berührungspunkt zwischen beiden Gruppierungen gab es maximal am Dresdner Hauptbahnhof, wo die einen ankamen und losmarschierten und die anderen zur selben Zeit gen Freiberg in den Zug stiegen. Bereits im Vorfeld des 1. Mai hatte es Auseinandersetzungen zwischen den „Freien Kräften“ und der NPD in Dresden gegeben. Diese gipfelten in einer Internetveröffentlichung der „Freien Kräfte“ unter dem Titel „1. Mai 2009 – Hannover oder Dresden“ in der sie der NPD die Zusammenarbeit aufkündigten. So waren die „Freien Nationalisten“ beleidigt, dass die NPD eine Demo in Dresden angemeldet hatte, „wenngleich auch keine vorherige Anfrage bei regionalen Aktivisten erfolgte“. Darüber hinaus würde die NPD aber dann doch Unterstützung im Superwahljahr durch eben jene jungen Nationalisten erwarten. Von großartigen inhaltlichen Differenzen im Vergleich zur Veranstaltung der „Freien Kräfte“ war aber nicht die Rede. Denn Nazi bleibt Nazi; vielmehr geht es bei dem Konflikt um das öffentliche Auftreten, wobei die „Freien Kräfte“ der NPD Anpassung ans System vorwerfen. Andererseits wiederum kokettieren die „Freien Kräften“ mit (links)autonomen Stilelementen, die wiederum der NPD nicht ins anvisierte bürgerliche Bild passen. Statt diesen Konflikt aber offen aufzumachen, spielen die „freien Kräfte“ vordergründig die beleidigte Leberwurst und schoben dann noch ein deftiges Rassenmischungsargument hinterher. Die NPD hatte nämlich – wenn sicher auch intern umstritten und gar nicht gern gesehen – den parteilosen Stadtrat Werner Klawun für die Kommunalwahl in Dresden nominiert. Der hatte dem Nationalen Bündnis (NB) im März 2006 durch sein Überlaufen aus der Bürgerfraktion den Fraktionsstatus im Stadtparlament ermöglicht. Klawun ist aber – entgegen der rassistischen Vorstellungen seiner Fraktionskollegen und der restlichen Nazis – mit einer Frau nichtdeutscher Herkunft verheiratet, mit der er auch ein Kind hat. Und das geht nun aus Naziperspektive gar nicht. Auch deshalb entschlossen sich die „Freien Kräfte“ die Fahne in Freiberg für die arische Reinheit in den Wind zu halten, während die NPD sich an der Kreide, die sie für diese Nominierung fressen musste, fast verschluckte. Und so kam es, dass NPD und die „Freien Kräfte“ am 1. Mai 2009 nicht gemeinsam marschieren wollten.
1. Mai in Dresden
Die NPD hatte zu einer Demonstration in Dresden unter dem Motto „Heimische Wirtschaft und Arbeitsplätze schützen – Finanzheuschrecken bekämpfen“ aufgerufen. Unter der Leuchtpalme eines Nachtclubs traf sich dann die „Cremé de la cremé“ der sächsischen NPD und ihr Umfeld. Sprich die Landtagsfraktion, außer Johannes Müller, die Dresdner NPD und der Rest ihrer sporadisch angereisten AnhängerInnen. Es sprachen Jens Baur, Holger Apfel, Winfried Petzold und Jürgen Gansel – wobei deren Namen auch schon das Aufregendste an den jeweiligen Beiträgen waren, die sich um das „marode System“ und „nationalen Sozialismus“ drehten, gepaart mit Rassismus und ergänzt um kurze Ausflüge in die Kommunalpolitik. Die Demo lief dann – dank der Dresdner Stadtverwaltung – durch die Innenstadt über Pirnaischen Platz hin zum Straßburger Platz und vorbei am Stadion zurück zum Hauptbahnhof. Begleitet wurde sie durch laute Proteste und kleine Sitzblockaden von Antifaschist_innen. Vor Beginn des Naziaufmarschs fand eine antifaschistische Kundgebung und ein von der Initiative „Bürger.Courage“ gemeinsam mit der „Dresdner Tafel“ initiiertes Bürgerfrühstück statt. Bereits in der Nacht zuvor hatten Mitglieder der Bürgerinitiative die Naziroute mit Sprühkreide verschönert. Dies müssen mehrere Nazis beobachtet haben und überfielen die Gruppe vermummt und rechte Parolen rufend.
1. Mai in Freiberg
Nachdem das Bundesverfassungsgericht am 29. April das Verbot der Demonstration in Hannover endgültig bestätigt hatte, meldete Maik Müller eine Versammlung in Freiberg an. Das Landratsamt blieb im Großen und Ganzen untätig und lies die Nazis bis auf die üblichen Auflagen gewähren. So versammelten sich am Mittag 350 bis 400 Nazis aus Dresden, Freiberg, Chemnitz, Leipzig, Geithain, Halle, Weimar, Ostsachsen, Südbrandenburg, der Sächsischen Schweiz und Bayern unter dem Motto „Zukunft statt Kapitalismus – Freiheit statt BRD“. Unter ihnen die altbekannten Gesichter von Ronny Thomas, Silvio Anders, Sven Hagendorf und Martin Schaffrath. Auch Tom Woost, führendes Mitglied der verbotenen Vereinigung „Sturm 34“ und wegen mehrerer Gewaltdelikte vorbestraft, marschierte in Freiberg mit. Inhaltlich waren die Reden vom üblichen Pathos der „Freien Kräfte“ getragen, es ging also ums Volk und den Nationalsozialismus als Lösungsvorschlag für die derzeitige Misere (sie sprachen selbstverständlich offiziell vom „nationalen Sozialismus“). Die vorrangig als rechtsautonomer „schwarzer Block“ marschierende Demonstration trat aggressiv auf und als die Polizei einen Nazi zur Identitätsfeststellung mitnahm, eskalierte die Situation. Die Nazis warfen Steine, Flaschen und Pyros in Richtung Polizei, woraufhin sie in mehreren Kesseln festgesetzt wurden. Zurück ging es dann wieder im Zug bzw. in Autos und ein reichliches Dutzend Dresdner Kameraden um Maik Müller fand sich noch auf der Oskar-Röder-Straße in Reick ein. Protest gegen den Aufmarsch war kaum möglich, da die Demonstration weitestgehend von der Polizei abgesperrt wurde. Im Nachhinein gab es massive Kritik seitens der Gewerkschaft und linker Parteien, dass das Landratsamt die Ersatzveranstaltung der örtlichen „Freien Kräfte“ für Hannover so einfach genehmigt und offensichtlich das Gefahrenpotential unterschätzt hatte und nicht wenigstens die örtliche Zivilgesellschaft informiert hatte.
1. Mai anderswo
In Berlin fand unter massiven Protesten (1.000 DemonstrantInnen) ein Bürgerfest der NPD mit gerade einmal 250 Nazis wohl mehr in, als – wie eigentlich geplant – außerhalb ihrer Parteizentrale in Köpenick statt. In Dortmund griffen 300 Nazis eine DGB-Demonstration unvermittelt an. Die zunächst völlig überforderte Polizei setzte nahezu alle Nazis in Kesseln fest. Die mecklenburg-vorpommersche NPD sagte ihre ursprünglich geplante Demonstration, wegen zu rigider Auflagen in Neubrandenburg ab. Stattdessen marschierten spontan etwa 100 Nazis in Greifswald auf. In Ulm demonstrierten etwa 800 Nazis unter dem Motto „Aufruhr im Paradies – die Jugend stellt sich quer – Wir wollen eine Zukunft!“. 5000 Menschen fanden sich zu vielfältigen Gegenprotesten ein, die zum Teil massiv von der Polizei angegriffen wurden. In Niedersachsen gingen Rechtsradikale spontan auf die Straße und entgingen somit dem Verbot. Etwa 100 Neonazis marschierten in Rotenburg an der Wümme auf. Sie störten ein DGB-Maifest und griffen einen Polizisten an, der leicht verletzt wurde. Im nahegelegenen Verden sollen anschließend spontan einige Dutzend – Beobachter sprechen von maximal 40 – Neonazis aufgetreten sein. Die Polizei bestreitet diese Demonstration. 500 – 800 Nazis aus Tschechien, Österreich, Deutschland, Slowakei und Ungarn demonstrierten in Brno (Tschechien). Die Polizei hat in Wittenberge gegen teilweise gewalttätigen Widerstand eine Spontandemonstration von 60 Nazis verhindert. In Kaiserslautern wurde ein Naziaufmarsch durch Platzbesetzung verhindert. Am Nachmittag sammelten sich etwa 35 Neonazis in Friedland bei Göttingen, die ebenfalls eine Spontan-Demo durchführten. Vor einem rechten Szene-Laden im niedersächsischen Tostedt (Kreis Harburg) kam es zu Rangeleien zwischen rund 40 Neonazis und der Polizei. Bereits am Morgen hatten sich die Teilnehmer vor dem neonazistischen “Club 88″ in Neumünster gesammelt. In Itzehoe wurden über 40 Neonazis aus Schleswig-Holstein und Dänemark in Gewahrsam genommen. Etwa 150 Nazis wurden in Mainz durch Proteste von 2.500 Menschen am Loslaufen gehindert. Auch in Weiden und Siegen versammelten sich jeweils um die 100 Nazis. In Hannover protestierten mehrere Tausend Menschen gegen den ursprünglich angemeldeten, aber verbotenen Aufmarsch der „Freien Kräfte“.
Einschätzung
Etwa 2.500 – 3.000 Nazis marschierten bundesweit zum 1. Mai 2009 auf. Damit bleiben die Gesamtzahlen der rechten Maidemonstrationen konstant. Dennoch hat dieses Datum in der Szene nicht mehr die Integrationswirkung, die es einmal hatte, wenn man bedenkt, dass die Szene zum Aufmarsch der Bombardierung Dresdens mehr als die Doppelte Menge an KameradInnen mobilisieren kann. Insbesondere das Verbot in Hannover, aber auch die Zersplitterung in viele kleinere Aufmärsche dürften der Reiseattraktivität entgegen gestanden haben. Nach wie vor hat es die rechte Szene nicht geschafft den ersten Mai mit derselben Symbolkraft zu besetzen, wie es den direkt und originär mit dem Nationalsozialismus verknüpften Aufmärsche wie dem Hess-Aufmarsch oder der Demonstration anlässlich der Bombardierung Dresdens gelungen ist. Vielmehr steht das Datum (noch) für einen starken nichtrechten ArbeitnehmerInnenkampftag. Die Gewerkschaften, linken Parteien, Zivilgesellschaft und die autonome/anarchistische Linke sind aufgefordert die Ausstrahlungskraft des Tages für gerechte Löhne, faire Arbeitsbedingungen und gegen Rassismus aufrecht zu erhalten. Dies scheint zumindest in Westdeutschland auch eine Grundhaltung zu sein. Überall dort, wo sich Nazis angekündigt hatten, kam es zu großen, spektrenübergreifenden Protesten. In Dresden dagegen – obwohl der Naziaufmarsch – seit Wochen bekannt war, regte sich von Linkspartei über SPD hin zur Gewerkschaft kaum Widerstand. Vielmehr blieb man bei Bratwurst und Maitagsreden, die weder dem Kapitalismus noch den Nazis wehtun, weitab des rechten Aufmarschs. Sozialer Protest – ist Protest gegen Naziaufmärsche, denn national ist nie sozial!