Bombenstimmung bei Nazis

Zwar ist der Naziaufmarsch in Dresden der größte Deutschlands, er ist aber bei weitem nicht der einzige zum Thema Bombardierung. In den zurückliegenden zwölf Monaten gab es anlässlich von Jahrestagen alliierter Bombenangriffe über 20 durch Nazis organisierte Kundgebungen und Demonstrationen – allein 18 davon im ersten Viertel des Jahres 2010. Damit ist es momentan das dominierende Thema innerhalb der deutschen Naziszene, zumindest im Hinblick auf das Demonstrationsgeschehen. Dass sie sich so darauf konzentriert, verdeutlicht aber vor allem eines: den Mangel anderer anschlussfähiger Themen.

Dresden bot den Nazis gute Voraussetzungen. Die durch das NS-Propagandaministerium begründete Erzählung über Dresden als wehrlose Kunst- und Kulturstadt hat sich über die Jahre fest im kulturellen Gedächtnis verankert, was dann die Grundlage für ein Gedenken bildet, in dem die Deutschen pauschal zu Opfern verklärt werden. Die Nazis mussten sich in diesem revisionistischen Treiben in den 1990ern nur anschließen, allzu große inhaltliche Differenzen gab es dabei nicht zu überwinden. Seit 1994 waren sie geduldeter Bestandteil des 13. Februar-Rummels an der Frauenkirche, die ab 1998 organisierten Demonstrationen galten der Lokalpresse noch lange Zeit als Ausdruck „trauernder Dresdner Bürger“. Als die Jüdische Gemeinde 2008 dem offiziellen Gedenkakt auf dem Heidefriedhof fernblieb, um gegen die Ignoranz gegenüber den zahlreich teilnehmenden Nazis zu protestieren, fand die Dresdner Stadtspitze und der Großteil der Zivilgesellschaft lediglich ein paar blumige Worte des Bedauerns – und reihte sich erneut mit den Nazis auf der Gedenkanlage ein, die Dresden mit Auschwitz, Bergen-Belsen oder Warschau gleichsetzt. Dass die Nazis in Dresden so unproblematisch an das bürgerliche Gedenken anknüpfen konnten, ist ein Grund für die Relevanz des 13. Februars innerhalb der Naziszene. Trotz Anknüpfungspunkten unterscheiden sich bürgerliches und nazistisches Gedenken: während im erstgenannten der Versöhnungsgedanke beschworen wird, meinen die Nazis „Einst kommt der Tage der Rache“ (1).

In vielen Städten, in denen die Nazis in den zurückliegenden zwölf Monaten demonstrierten, sind solche bürgerlichen Gedenkrituale derzeit weit weniger oder überhaupt nicht ausgeprägt. Die Nazis stehen hier mit ihren Versammlungen allein auf weiter Flur und mobilisieren auch aus dem eigenen Spektrum nur ein überschaubares Publikum. So demonstrierten in Lübeck, Bad Dürkheim, Dessau, Stendal, Sassnitz, Augsburg, Pforzheim, Cottbus, Siegen und Stralsund zwischen 20 und 250 Nazis. Und dabei handelt es sich nicht nur um erstmals durchgeführte Veranstaltungen – die Kundgebung in Pforzheim findet weitgehend ungestört seit 1994 statt, in Lübeck, Dessau oder Augsburg liefen die Nazis bereits zum vierten Mal zum gleichen Anlass auf – Zuwächse bei den Teilnehmendenzahlen sind dennoch nicht zu verzeichnen, eher sogar Rückgänge wie zuletzt in Lübeck.

Etwas anders stellt sich die Situation in Magdeburg und neuerdings auch in Chemnitz dar. Der Aufmarsch in der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt verzeichnet seit 2001 eine kontinuierlich steigende Zahl von Teilnehmenden. In diesem Jahr marschierten 850 Nazis durch die Magdeburger Innenstadt und markierten damit einen neuen Höhepunkt. Die Anfänge des Aufmarschs liegen in den 1990er Jahren, als sich – ähnlich wie in Dresden – Nazis in größerer Anzahl den städtischen Gedenkveranstaltungen anschlossen. Jedoch blieb eine Verwischung der Grenzen zwischen Bürger_innen und Nazis weitgehend aus. Inhaltlich unterscheidet sich der Aufmarsch nicht vom Dresdner. Die Nazis fordern genauso ein „würdiges Gedenken“, womit eine geschichtsklitternde Sicht gemeint ist, die die Bombardierung mit der Shoa gleichsetzt, jegliche Verantwortung der Deutschen für den 2. Weltkrieg leugnet und auf Rache für die „alliierten Kriegsverbrechen“ drängt. Dieser inhaltliche Gleichklang hat in diesem Jahr zu einer verstärkten organisatorischen Zusammenarbeit beider nazistischen Vorbereitungsbündnissen geführt: man präsentiert sich neuerdings zusammen auf einer Homepage und organisiert einen gemeinsamen Ordnungsdienst.

Auch der Naziaufmarsch in Chemnitz am 5. März fiel diesmal deutlich größer aus. Über 500 Nazis – und damit doppelt so viele wie im Vorjahr – versammelten sich an einem Freitagabend am Chemnitzer Hauptbahnhof. Ursache für den sprunghaften Anstieg ist vor allem das Scheitern der Nazis in Dresden zum 13. Februar 2010. Nicht zuletzt um die vorhergehende Niederlage zu kompensieren, fühlten sich Nazis weit über die Region Chemnitz hinaus zur Teilnahme motiviert. Ob dieser Bedeutungsgewinn für den Chemnitzer Aufmarsch von Dauer sein wird, ist aber noch offen. Das hängt natürlich zum einen von den weiteren Entwicklungen um den Naziaufmarsch in Dresden ab, aber auch von der Positionierung der Stadt Chemnitz. Antifaschistische Proteste wurden stark behindert, während die bürgerliche „Blockade“ bewußt abseits der eigentlichen Naziroute platziert und auf eine allenfalls symbolische Wirkung beschränkt wurde. Bedenklich nimmt sich zudem die Tatsache aus, dass es den Nazis in Chemnitz gelang, als Stichwortgeber zu wirken. Denn erst die Naziaufmärsche weckten im bürgerlichen Lager ein größeres Interesse an der Thematisierung der Bombardierung. Das daraufhin ausgebaute städtische Gedenken soll gleichzeitig gegen die Nazis gerichtet sein und sich von ihrem Gedenken abgrenzen. Dazu wird eine Erzählung forciert, die die Bombentoten nicht als Opfer der Alliierten aufgreift, wie es die heutigen Nazis tun, sondern als Opfer des Nationalsozialismus. Damit bewegt man sich zwar nicht im gleichen Fahrwasser mit den Nazis, der zugrunde liegende universalistische Opferbegriff, der nicht zwischen Bombentoten und NS-Opfern zu unterscheiden vermag, relativiert aber genauso die NS-Verbrechen und dient letztlich der Entschuldung Deutschlands.

Die gegenwärtige Fixierung der bundesdeutschen Naziszene auf das Thema Bombardierung bzw. weiter gefasst auf „alliierte Kriegsverbrechen“ unterstreicht ihre inhaltliche Schwäche. Jenseits dieses geschichtspolitischen Themas gibt es kaum ein anderes das ähnlich mobilisierungsfähig und innerhalb der Rechten gleichzeitig so konsensfähig erscheint. Die NPD will sich eigentlich vom allgegenwärtigen positiven Bezug auf den Nationalsozialismus lösen, um nicht als „Ein-Punkt-Partei“ wahrgenommen zu werden. Entscheidende Fortschritte bei der Besetzung neuer Themen sind aber kaum zu verzeichnen. Die Versuche, im Zuge des G8-Gipfels eine rechte Globalisierungskritik stark zu machen, verpufften, die jüngsten Wahlschlappe in Thüringen und der Dämpfer in Sachsen machen das genauso deutlich. Die sogenannte „Volkstod“-Kampagne aus dem Spektrum sächsischer „Freier Kräfte“ blieb bisher überwiegend auf die Region begrenzt. Insofern bleibt der Bezug auf die geschichtspolitischen Themen eines der wenigen Zugpferde innerhalb der Naziszene. Die Erfolge zum 13. Februar wecken andernorts Nachahmungsbemühungen. Dabei zeichnet sich aber ab, dass sich das Erfolgsmodell Dresden nicht ohne weiteres exportieren lässt. Die Gründe dafür sind sicherlich in den recht einzigartigen Gegebenheiten in Dresden zu finden. Die Bemühungen der Szene das Bombardierungsthema bundesweit zu besetzen, sind dennoch nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Wie Chemnitz zeigt, können sie damit durchaus als Stichwortgeber wirken, und auch im bürgerlichen Lager das Interesse an pauschalisierenden Verklärungen der Bombentoten zu Opfern wecken. Ähnliche Entwicklungen gab es bereits in Frankfurt/Main, Nordhausen oder auch in Mecklenburg-Vorpommern. Erinnert sei zudem an die Erfolge der rechten Kampagne gegen die Wehrmachtsausstellung in den 1990er Jahren. Dieses geschichtspolitische Thema verband und mobilisierte ein breites rechtes Spektrum über die klassische Naziszene hinaus und war entscheidend für die Revitalisierung der NPD auf bundesweiter Ebene.