Der folgende Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 184 von Der Rechte Rand im Mai/Juni 2020. Am 28. Juli 2020 wurde Frank Hannig als Pflichtverteidiger von Stephan E. abberufen. Mittlerweile steht der Vorwurf im Raum Hannig habe seinen Mandanten zu einer falschen Tatdarstellung angestiftet. Das wäre als Anstiftung zu einer falschen Verdächtigung strafbar.
Anfang Juli 2019 ging eine Meldung durch die Presse: Der für die Tötung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke dringend Tatverdächtige Stephan E. hat einen neuen Verteidiger und kurz darauf sein Geständnis widerrufen. Seitdem versucht Stephan E. mit dem Dresdner Rechtsanwalt Frank Hannig die Berichterstattung in andere Bahnen zu lenken. Durchaus mit Erfolg: Mit allerhand Ankündigungen und gezielt gestreuten Informationen gelang es ihnen um den Jahreswechsel, die Nachrichten zum Mord zu dominieren. Journalist*innen griffen die angebotenen Informationen und Spins auf und machten sie einem großen Publikum bekannt. Der Anwaltswechsel hat sich bezahlt gemacht: Für Stephan E., aber auch für die neonazistische Szene insgesamt, die hinter den von Hannig verkündeten Schuldabwehr-Narrativen in Deckung gehen konnte. Zufall ist diese Inszenierung nicht.
Wer ist Frank Hannig?
Der 1970 in Halle geborene Hannig verpflichtete sich noch im September 1989 für eine Offizierslaufbahn bei der DDR-Staatssicherheit und musste wegen des Falls der Mauer wenig später umsatteln. Er studierte stattdessen Jura an der Universität Nürnberg-Erlangen und eröffnete anschließend eine Kanzlei in Dresden. Neben seiner beruflichen Tätigkeit suchte er immer wieder die öffentliche Aufmerksamkeit und das politische Spielfeld. Etwa als er 2008 in der sächsischen Kleinstadt Mügeln in Folge eines Umweltskandals versuchte parteiloser Bürgermeister zu werden. Oder als er 2010 Angela Merkel aufgrund des Ankaufs einer Steuer-CD wegen Hehlerei anzeigte. Er habe darin eine »Aufforderung zum Denunziantentum« erkannt, so seine Begründung. Sein CDU-Parteibuch, er hatte es erst 2009 bekommen, gab er bald darauf wieder ab.
Im Frühjahr 2015 tauchte Hannig im Umfeld von Pegida auf. Die Gründungsmitglieder hatten sich zerstritten, der Trägerverein lag brach. Der Anwalt unterstützte in dieser Situation die Neugründung des Pegida-Fördervereins e.V. mit Lutz Bachmann und Siegfried Däbritz an der Spitze. Er leitete und protokollierte die Gründungssitzung und verwaltete über Monate ein Treuhandkonto für den Verein. Seinen Beitrag zur Fortführung von Pegida versuchte er öffentlich als »Anwaltspflicht« zu verkaufen. Dabei hat seine Unterstützung einer politischen Bewegung die Existenz gesichert, die von Beginn an unter Einsatz von Gewalt rassistische Hetze salonfähig gemacht hat.
Im Oktober 2015 trat Hannig als Sprecher einer Elterninitiative einer Dresdner Grundschule auf, die gegen die Unterbringung von Asylsuchenden im Nachbargebäude protestierte. In einer Pressemitteilung schrieb er: »Durch die Unterbringung von Flüchtlingen in baulich nicht von der Schule abgegrenzten Räumen ist die Sicherheit unserer Kinder nicht gewährleistet.« Zur Begründung verwies er auf »rechte als auch linke Krawallmacher, politische Parteien und Bürgerbewegungen, die die Situation an der Schule für Ihre Zwecke vereinnahmen werden und dort demonstrieren wollen«, auf zu erwartende »Konflikte unter den Flüchtlingen«, sowie auf »hygienische und gesundheitliche Risiken für unsere Kinder.«
Einseitig trieb die Elterninitiative den Konflikt an: Kinder wurden nicht mehr zur Schule geschickt, die Lehrer*innen zum Streik aufgefordert. Die Schule rückte über Tage in den öffentlichen Fokus. Rechte Netzwerke um NPD, »Freie Kameradschaft Dresden« (FKD) und »Gruppe Freital« eskalierten in dieser Situation weiter. In der Nacht zum 7. Oktober 2015 versuchten drei Personen aus dem Umfeld der FKD das Gebäude mit vier Molotowcocktails in Brand zu stecken, richteten aber nur geringen Sachschaden an. Eine Kundgebung der lokalen Willkommensinitiative wenige Tage später wurde von einer Ansammlung von 150 Neonazis und Anwohner*innen attackiert. Die Polizei war unvorbereitet und bekam die Lage erst nach Stunden in den Griff. Der zuständige Revierleiter machte jedoch im Nachgang die Willkommensinitiative verantwortlich: Ihre Kundgebung sei »eine Provokation« gewesen. Die Grundschule wurde letztlich an einen anderen Standort verlegt. Hannig und die Elterninitiative konnten ihr Ziel durchsetzen.
Szeneverteidiger
2017 vertrat Hannig den Angeklagten Bernd G. im Arnsdorf-Prozess. Vier Personen wurden der Freiheitsberaubung beschuldigt, weil sie einen psychisch kranken Iraker im Mai 2016 vor einem Einkaufsmarkt in Arnsdorf bei Dresden an einen Baum gefesselt hatten. Ein Video zeigt, wie der Mann im Markt mit Verkäufern diskutiert, als zielstrebig vier dunkel gekleidete Personen dazukommen, den Mann greifen und unter Schlägen und Beschimpfungen aus dem Markt zerren. Das folgende Ermittlungsverfahren war Gegenstand einer »Ein Prozent«- Kampagne samt Video mit den Beschuldigten. Sie schildern darin ihre Sicht auf die Dinge – lassen aber ihr gewalttätiges Vorgehen unter den Tisch fallen. Am 27. April 2017 stellte der Richter den Prozess kurz nach dessen Beginn ein, es seien nur geringfügige Strafen zu erwarten, so die Begründung. Ein Erfolg für die rechte Kampagne, an der auch Hannig mitwirkte. Noch am Abend, es war ein Montag, sprach er bei Pegida vor einigen hundert Teilnehmenden. Wieder mimte er den Experten, den allein die Sorge um den Rechtsstaat umtreibe. Aber um juristisch korrekte Aussagen ging es ihm nicht. »Dieser Mann ist unschuldig«, behauptete Hannig gleich zu Beginn seiner Rede über seinen Mandanten. Der Strafverteidiger wird wissen, dass das nicht stimmt, denn das Gericht hat gar nicht über Schuld oder Unschuld entschieden. Mit seiner Rede bei Pegida, gespickt mit rassistischen Auslassungen oder dem Vorwurf, die Presse sei zusammen mit den sozialen Medien Wiedergänger mittelalterlicher Henker und Hexenjäger, zeigte er seine politische Agenda. Und Hannig ermunterte dazu, wie sein Mandant zu handeln, denn das sei schließlich eine »Coole Nummer!« gewesen.
Bevor Ende 2019 Arnsdorfs amtierende SPD-Bürgermeisterin nach Jahren rechten Mobbings ihren Rücktritt erklärte, sprach sie in einem Zeitungsinterview darüber, wie die Hetze seit 2015 zur Bürgermeisterwahl zunahm, sich nach dem Bürgerwehr-Vorfall 2016 nochmal verschärfte und auf sie konzentrierte. Wie zum Beleg für diese Aussage, folgte eine Pressemitteilung von Frank Hannig: Er habe die Bürgermeisterin wegen Verleumdung und übler Nachrede im Namen seiner Mandanten Bernd G. und Detlef Oelsner, ehemalige CDU-Gemeinderat, 2015 Bürgermeisterkandidat und heutiger AfD Gemeinde- und Kreisrat, angezeigt. Es sei »unwahr«, dass sie Teil einer Bürgerwehr seien, denn der Prozess habe gezeigt, dass eine solche Bürgerwehr nicht existiere. Dass auch diese Aussage juristischer Unsinn ist, dürfte Hannig klar sein.
Szenepolitiker
2019 kandidierte Hannig auf der Liste der »Freien Wähler« zur Kommunalwahl und zog als einer von vier Vertretern des Wahlvereins in den Dresdner Stadtrat ein. Dort arbeitet er jetzt unter anderem mit der rechten Buchhändlerin Susanne Dagen und Jens Genschmar zusammen, einem regelmäßigen Pegida-Gänger, der aber von sich meint, »keinesfalls rechts« zu sein. Auffällig war diese Konstellation bereits im Vorfeld der Wahl. Weitere Kandidat*innen auf der Freien Wähler-Liste machten deutlich, dass hier rechte Strippenzieher der Stadt neben der AfD ein neues Sammelbecken gründeten, um mit einem vermeintlich neutralen Label auf Stimmenfang zu gehen. Durchaus mit Erfolg: Auch die Freien Wähler erzielten Fraktionsstatus und erlangten Zugriff auf Ausschussposten und Fraktionsmittel. Inhaltlich unterscheiden sie sich hingegen kaum von der AfD: In wesentlichen Entscheidungen stimmen beide Fraktionen gleich ab. Die Nähe zur AfD ist auch bei Hannig offensichtlich. So gab er im Januar 2020 dem bayrischen AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron ein Interview. Anlass war der Tod eines Feuerwehrmanns in Augsburg, nachdem der von einem Jugendlichen gegen den Kopf geschlagen wurde. Hannig griff den Fall in seinem persönlichen Youtube-Kanal auf und garnierte seine vermeintliche Anteilnahme mit allerhand kulturalistischen Unterstellungen über »die« Täter*innen: es gäbe Kulturen in denen die »Ermahnung durch einen Passanten« mit Totschlag beantwortet werde und »Brände in Zimmern« seien ein Phänomen, dass mit seit 2015 eingewanderten Migrant*innen zusammenhänge.
Die rassistische Haltung Hannigs zeigt sich in vielen seiner Videos. Es ist der rote Faden, der sich zusammen mit der pegida-üblichen pauschalisierenden Medien- und Politikschelte durchzieht. Bemerkenswert ist eine Aufnahme von Anfang 2020, in der sich Hannig über angebliche »Kulturkreise« auslässt, in denen das Messer gezückt wird, um Konflikte auszutragen. Das sei in Deutschland, »schon seit mehreren hundert Jahren« nicht mehr üblich, behauptet der studierte Jurist und schlägt vor, darüber nachzudenken, Herkunft aus bestimmten Kulturkreisen als strafverschärfendes Kriterium zu berücksichtigen. Er sei gespannt, so Hannig weiter, ob Juristen auf dieses Thema aufspringen, ob darüber mal diskutiert werde.
Was bleibt?
Frank Hannig ist ein Musterbeispiel für die aktuellen Ausprägung rechter Politik. Man gibt sich eine vermeintlich bürgerlich-rechtstaatliche Fassade, greift dann umso ungenierter altbekannte Ressentiments auf, verdichtet sie zu Reiz-Reaktions-Schlüsselworten und bietet sie auf allen Kanälen in endlosen Wiederholungen an. Um Diskurs geht es dabei nicht, sondern um die Durchsetzung nationalistisch-rassistischer Positionen und Narrative. Von der Realität lässt sich einer wie Hannig dabei nicht beeindrucken.
Während des Prozesses gegen Stephan E. sollte man sich deshalb vergegenwärtigen wer dessen Verteidiger Frank Hannig eigentlich ist, bevor man sich von ihm ins Notizbuch diktieren oder ihm in ein Mikrophon sprechen lässt. Im Zweifel spielt man damit sein mediales Spiel um die Deutungshoheit mit.