Thesen zu den Montagsprotesten in Sachsen
Vom „heißen Herbst“ war mit Blick auf bevorstehende protestreiche Monate vielfach die Rede. Und tatsächlich bekamen die montäglichen Proteste in Sachsen ab September zunächst wieder stärkeren Zulauf. Nach den Maßnahmen zur Corona-Pandemie drehte sich das Mobilisierungskarussel weiter. Zwischenzeitlich stagniert, erweist sich der erhoffte (oder befürchtete) Massenauflauf auf den Straßen inwischen jedoch als „Wunsch-“ statt „Wutwinter“. Zeit für einen bilanzierenden Blick auf das Geschehen.
In der Presse wurden die Proteste vor dem Hintergrund der Energiekrise oft als „Sozialproteste“ beschrieben. Um Soziales geht es jedoch nicht, stattdessen werden altbewährte rechte Ressentiments gepflegt und vor allem eins propagiert: faschistische Umsturz-Fantasien. Vier Thesen zum sächsischen Protestgeschehen:
1. Die weitverbreiteten Montagsproteste sind keine Sozialproteste.
Thematisch geht es um vieles, aber nicht um soziale Forderungen: Solidarität mit Russland, Rücknahme von Sanktionen, Kampf gegen die Energiewende, eine angebliche US-Besatzung, die Verschwörungsideologie des „Great Reset“ oder aktuell wieder klassisch rassistisch gegen die Unterbringung Asylsuchender. Soziale Forderungen finden sich nur ausnahmsweise, stattdessen allenthalben die Aufforderung die Regierung zu stürzen. Es handelt sich um nationalistische Proteste: Die Proteste verfolgen nicht die Absicht die realen Verhältnisse zu verändern, stattdessen sollen sie mit Ausgrenzung und Gewalt aufrecht erhalten werden.
Ausschnitt aus der Rede von Siegfried Däbritz am 24. Oktober 2022 bei PEGIDA in Dresden.
2. Die Montagsproteste werden nicht von Rechten unterwandert.
Selbstverständlich liegt der sächsische Innenminister gewohnt daneben, wenn er so etwas behauptet. Die Proteste werden zu einem großen Teil von rechten bis neonazistischen Strukturen organisiert und über deren Kanäle mobilisiert. Namentlich sind das die AfD, Querdenken 351 und die Freien Sachsen, sowie diverse kleinere Initiativen. Die Namen der Initiativen ändern sich, die Protestbiografien der zentralen Akteur*innen lassen sich jedoch häufig zurückverfolgen über die Pandemie-Leugner*innen bis hin zu Pegida- & Anti-Asylprotesten.
3. Es gibt keinen Volksaufstand.
Wer in den Kanälen der Organisator*innen liest, bekommt einen falschen Eindruck: Mit der Realität haben die genannten Zahlen bei den verschiedenen Demonstrationen oftmals nichts zu tun. Etwa ein Drittel der von den Freien Sachsen angekündigten Veranstaltungen finden überhaupt nicht statt. Die Teilnehmer*innenzahlen dieses Protestzykluses lagen nach Polizeiangaben Ende September bei ca. 32.000 Personen auf 102 Versammlungen. Seitdem gibt es keinen stärkeren Zulauf mehr. Für Ende Oktober meldete die Polizei 25.000 Personen auf 109 Versammlungen – dabei wurden gleich noch die Teilnehmer*innen etwaiger Gegenproteste dazugerechnet. Insofern erweisen sich gern in den Telegramkanälen gepostete Zahlen von abertausenden Teilnehmer*innen bei dieser oder jener Veranstaltung als Hirngespinste.
4. Wenn das Momentum schwindet, droht Radikalisierung.
Es zeigt sich bereits in Reden und Auftreten: Beides wird aggressiver. Die Erfahrung zeigt, dass sich in Phasen des Abschwungs Teile dieser Bewegung radikalisieren und zur Tat schreiten: etwa die Anschläge von Nino Köhler (Pegida) auf die Moschee in Dresden-Löbtau und das Kongresscenter 2016 oder die Pläne der sogenannten Offline-Vernetzung 2021 und der Vereinten Patrioten 2022. In den Reden werden konkrete Feinde markiert. Im Fokus stehen insbesondere die Grünen. Zuletzt gab es zudem Versuche erneut das rassistische Ticket zu spielen: Asylsuchende werden zunehmend problematisiert. Die ersten Anschläge auf Asylunterkünfte waren die Folge: In Bautzen mit einer Brandstiftung und unter in Kaufnahme Menschen zu töten, im Landkreis Leipzig und Dresden mit Böllerwürfen. 2015 hatte sich die rechtsterroristische Gruppe Freital zusammengeschlossen und mehrere Anschläge verübt.
Festzuhalten ist also nach drei Monaten Protestherbst, dass der große Aufstand ausgeblieben ist, dass wir aber in Sachsen weiterhin mit konstanten rechten Mobilisierungen konfrontiert sind, die zu wechselnden thematischen Anlässen weiter an der Radikalisierungsschraube drehen. Und dies verfängt insbesondere in jenen Regionen und Orten in Sachsen, die sich bereits seit 2015 immer wieder als neuralgische Punkte zeigen: Dresden und sein Umland, die Region Bautzen, Chemnitz und sein Umland bis ins Erzgebirge.