Lose Finger sind keine Faust

Protokoll eines gescheiterten Versuchs der Nazis in Dresden 2011

Alljährlich, so es die Kalenderkonstellation erlaubt, mobilisieren die Nazis zu zwei Aufmärschen im Februar nach Dresden. Einmal am 13. Februar, dem inzwischen traditionellen Fackelaufmarsch am Abend selbst und das andere mal zum Großaufmarsch am folgenden Wochenende, so auch 2011.

Fackeln, verkleidete Skelette und ratternde Züge

Am Abend des 13. Februars liefen etwa 2.000 Nazis mit Fackeln einsam entlang des Bahndamms und durch das Dresdner Univiertel. Die sowieso schon kurze Route musste aufgrund von Sitzblockaden auf der Strecke minimiert werden und aus den Studierendenunterkünften schallte den Nazis lautstarker Protest entgegen. Wieso die „Junge Landsmannschaft Ostdeutschland“ (JLO) sich als Anmelderin erneut auf eine derart unattraktive Route eingelassen hatte, bleibt unklar.

Dieser Aufmarsch spiegelt das hohe Mobilisierungspotential der regionalen Szene und die Bedeutung der Versammlung am historischen Datum wieder. Die Symbolkraft und Authentizität der Bombardierungsnacht sowie die (richtige) Annahme, dass der Hauptmarsch am 19. Februar aufgrund von massiven Protesten nicht stattfinden würde, macht den Fackelmarsch zu einem attraktiven Datum. Sendet man doch die trotzige Botschaft nach Innen und Außen, dass man sich den Anlass nicht nehmen lassen will.

Ein Tränenmeer – die Nazis am 19. Februar

Der große Naziaufmarsch am darauf folgenden Wochenende wurde zum zweiten Mal in Folge verhindert, sie kamen nicht nur nicht durch, sie kamen dieses Jahr noch nicht mal an. Diesen Riesenerfolg kann das spektrenübergreifende Bündnis „Dresden Nazifrei“ zu Recht feiern und es sei an dieser Stelle noch einmal den über 12.000 Menschen gedankt, die hierher kamen, teilweise kilometerweit in die Stadt herein liefen und sich nicht von der Polizei aufhalten ließen, die Nazis zu stoppen. Auch tausende Dresdner_innen hatten sich aufgemacht mit dem Ziel den rechten Aufmarsch zu verhindern.

Abgeschreckt vom Vorjahresszenario, Hürden durch eine erzwungenermaßen versteckte Mobilisierung ohne Bekanntgabe der Treffpunkte machten sich nur noch knapp 3.000 Nazis auf den Weg, womit sich die Teilnehmendenzahl im Vergleich zum Vorjahr bereits mehr als halbiert hatte.

Die Nazis hatten nach dem Desaster 2010 begonnen Konzepte zu diskutieren, um eine Verhinderung durch Blockaden zu umgehen. So hatten sich schon im Vorjahr knapp 3.000 Nazis geleitet von Thomas „Steiner“ Wulff entschlossen, ihre Busse fernab des Treffpunkts zu verlassen und einen Marsch zum Treffpunkt durchzuführen. Fernab von Blockaden und mit wenig Polizeibegleitung liefen diese dann durch innenstadtferne Stadtteile (AIB 86).

Aus den Erfahrungen von 2010 plante man, sich dieses Jahr nicht an einem Platz einkesseln zu lassen, sondern meldete ursprünglich vier, dann auf drei Versammlungen eingedampfte Veranstaltungen für den 19. Februar an. [1]

Statt die Planungen der Nazis öffentlich zu machen, erlegte sich die Stadt höchste Geheimhaltung auf. Sie bevorzugte es, drei Tage vor dem Naziaufmarsch ein Verbot zu erlassen und das obwohl die Nazis bereits im Februar 2010 angemeldet, Kooperationsgespräche mit weitgehenden Einigungen stattgefunden hatten und das Verwaltungsgericht Dresden ein fragwürdiges Urteil zur Nichtdurchsetzung des Naziaufmarsches im Vorjahr erlassen hatte. [2]

Vorhersehbar hob jenes Gericht die Verbote wieder auf, woraufhin das Ordnungsamt über einen weiteren Winkelzug versuchte die Zusammenlegung der Treffpunkte zu erwirken, womit es abermals juristisch scheiterte.

Versuch des Fingerkonzepts durch Nazis

Aber auch das Konzept verschiedener Anlaufpunkte war aufgrund der zahlreichen, früh begonnenen Blockaden und des teilweisen Chaos´, Barrikaden und Straßensperrungen nicht durchzusetzen. So schafften es gerade 500 größtenteils regionale Nazis, deren Anreise von vornherein per Zug geplant war, zum Treffpunkt Hauptbahnhof zu gelangen. Die Busanreise scheiterte an den Möglichkeiten zu einem der verschiedenen Nazitreffpunkte vorzudringen, da die Straßen dank antifaschistischer Gegenaktivitäten nicht frei waren. So standen am Anmeldepunkt der „Freien Kräfte“ allein, von Hamburger Gittern eingezäunt und antifaschistischen Blockaden umringt unter Beschallung des alternativen Coloradios zu Höchstzeiten 70 Nazis.

Die Stunde schlug – daher bereits relativ früh am Tag – für Alternativen zu den genehmigten Treffpunkten, zu denen eine Anreise unmöglich war. Es hieß Kehrtwende und raus aus der Stadt in den etwa fünf Kilometer entfernten Ort Freital. Dort trafen sich circa 20 Nazibusse und die Insassen wagten den Marsch übers Land stadteinwärts nach Dresden. Dabei wurde offensichtlich, dass die Nazis versuchten das „Fingerkonzept“ zu übernehmen. So wurde angestrebt von einem Punkt weit außerhalb der Stadt über zwei Wege nach Dresden zu gelangen. Die unterschiedlichen Nazigruppen waren durch andersfarbige Armbändchen, die die Teilnehmer trugen, gekennzeichnet.

Die Gruppe um Thomas „Steiner“ Wulff stieß in einem Außenbezirk an eine Polizeisperre. Daraufhin kam es zu einer ungeplant wirkenden Aufspaltung, wobei der eine Teil mit „Steiner“ Wulff von der Polizei gekesselt wurde und der andere Teil auf einem zufällig gewählten anderen Weg seinen Zug Richtung Innenstadt fortsetzte.

Der zweite Finger bewegte sich ohne größere Barrieren Richtung Zentrum und griff auf dem Weg das alternative Wohnprojekt „Praxis“ an. Dabei schlugen etwa 200 Nazis des „grünen Fingers“ unter Rufen „Wir kriegen Euch alle“ Fensterscheiben ein und versuchten einzudringen. Die Polizei, die mit mehreren Streifenwagen vor Ort war, griff nicht ein sondern regelte den Verkehr. Am Rande der Innenstadt wurden sie durch die Polizei gestoppt und in den Zug Richtung Hauptbahnhof verfrachtet.

Die 500 Nazis am Hauptbahnhof versuchten als dritter Finger unterdessen vergeblich ihren Marsch in Richtung des Treffpunkts im Univiertel zu starten, von welchem die große Demonstration aus beginnen sollte. Sie kamen nicht los, denn die Route war erfolgreich blockiert. So entschlossen sich die Nazis nach mehreren Stunden, dass ihr Verbleiben sinnlos ist und kündigten an mit dem Zug nach Leipzig zu fahren und dort laufen zu wollen. Gegen 17 Uhr verließen sie die Stadt unverrichteter Dinge, scheiterten aber auch in Leipzig mit ihrem Aufmarschversuch an den Behörden.

Schwerpunkt der Naziaktivitäten war nun ein südlicher Dresdner Außenbezirk. Einerseits hing dort immer noch der festgesetzte „Steiner“ Wulff mit seinen Kameraden fest und andererseits hatten die Nazis, die sich bis nach Dresden „durchgekämpft“ hatten nun auch keine Lust als Nächste sinnlos am Hauptbahnhof rumzustehen. Man fuhr also mit der S-Bahn wieder zurück und vereinigte sich. Hinzu kamen noch weitere 18 Nazibusse, die wohl auch als weiterer Finger geplant aber eine halbe Ewigkeit aufgrund der Blockaden steckengeblieben waren. Insgesamt versammelten sich etwa 2.000 Nazis am Spätnachmittag im Dresdner Süden.

Die Polizei, auch dort unterbesetzt, hatte Mühe die recht frustrierten Kameraden in Schach zu halten. Die flexiblen antifaschistischen Proteste hatten sich recht schnell in das Viertel verlagert und umringten die Nazis, so dass diesen auch dort nicht möglich war zu laufen. Schlussendlich zogen sie hundert Meter um die Ecke, zurück zum S-Bahnhof um zu ihren Bussen nach Freital zurückzukommen. Der Rest stieg unverrichteter Dinge direkt vor Ort wieder in seine Busse.

Fazit

Die Nazis versuchen sich auf die veränderte Situation einzustellen. Dazu zählt zunächst, dass der Aufmarsch am 13. Februar selbst – egal an welchem Wochentag er kalendarisch stattfindet – zunehmend an Attraktivität gewinnt. Das liegt an der Authentizität des Datums selbst aber auch an der Möglichkeit, wenn auch nicht störungsfrei, aber immerhin laufen zu können.

Der innerhalb der Naziszene seit mehreren Jahren umstrittene Großaufmarsch scheint schon dieses Jahr aufgrund der letztjährlichen Verhinderung massiv an Attraktivität verloren zu haben. So waren die Nazis gezwungen bdquo;klandestiner“ zu mobilisieren. Viele Kameraden schätzen aber die bequeme Busanreise und begreifen diese auch nur als Service. Die Notwendigkeit sich vorher zu entscheiden, zu organisieren und anzumelden, stellte offensichtlich eine schwer überwindbare Hürde für die Masse dar.

Der Aufmarsch dampfte daher auf den mehr oder weniger „harten Kern“ ein, wobei erneut das Vorjahreskonzept des „Marschs auf die Stadt“ zur Anwendung kam. Die Nazis versuchten sich in einer Übernahme des Fingerkonzepts. So existierten mehrere Finger, die jeweils einen inneren Organisationszusammenhalt, geplante Routen und eine gewisse Führungsstruktur inne hatten. Man wich sogar bis in die nächste Kleinstadt aus, um längstmöglich von Gegendemonstrant_innen verschont zu bleiben.

Es gelang ihnen dennoch nicht das Konzept, dessen Ziel es ist, über unterschiedliche Wege zum gewünschten Punkt zu gelangen, umzusetzen. Dies setzt eine Verteilung von Aufgaben im Finger selbst, die Koordination der verschiedenen Gruppen im Tagesgesamtgeschehen, ein aktives Reagieren auf die Polizei beispielsweise durch Zurückweichen, Aufsplitten oder alternative Wege gehen voraus, all das misslang ihnen in weiten Teilen. Hinzu kamen die massiven Proteste und das Agieren der Polizei.

Zwar gibt es bei den Nazis ein ausgeprägteres gewaltvolleres Vorgehen auch aus Demonstrationen heraus, dennoch scheint die Debatte über das öffentliche Auftreten noch nicht abgeschlossen. So gab es im Vorhinein vollmundige Ankündigungen wie „Kein Polizeikessel, keine demokratische Resolution oder Blockade wird uns stoppen.“ [3]

Faktisch trat genau dieser Stopp ein und von Struktur oder gar gemeinsamen Vorgehen gegen die Polizei konnte kaum die Rede sein. Sobald die Polizei auftauchte gab es zwar Aggression und Militanzgebahren aber neben vereinzelten Ausbruch- und Schiebeversuchen kein wirklich organisiertes, entschlossenes Vorgehen. Vereinzelt flogen Gegenstände, laute Sprechchöre und wutverzerrte Gesichter, schlussendlich lies man sich aber doch immer wieder zurückdrängen.

So verwundert es nicht, dass – wie immer pathetisch vorgetragen – eine Debatte über den Umgang mit den Verhinderungen aufkommt. „Gewalt ist ein Mittel zum Zweck, richtig angewendet, eröffnet sie uns die Möglichkeit, staatliche Repressalien kurzer Hand zu umgehen und klar zu stellen, dass wir dem staatlichen Gewaltmonopol und den Machtverhältnissen in diesem System mit keinerlei Respekt begegnen oder uns gar unterdrücken lassen. (…), dass es für uns ausgeschlossen sein muss, sich hinter Hamburger Gittern wie Vieh einpferchen zu lassen und darauf zu warten, dass die Polizei unser Recht durchsetzt.“[4]

Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu Versuchen seitens der Autonomen Nationalisten ihre Verbalradikalität in Bezug auf Versammlungen in die Praxis umzusetzen.[5]

So wurde bei dem Angriff auf das alternative Wohnprojekt offensichtlich, dass die Radikalitätsappelle zumindest in spontanen Ausbrüchen ankommen.

Ausblick

Tatsache ist, dass es den Nazis aufgrund der Massenproteste verunmöglicht wird, ihren aktuell verbliebenen größten Aufmarsch durchzuführen. Selbst wenn sie in kleineren Gruppen laufen, dann tun sie das Abseits der Wahrnehmbarkeit und nicht in der für sie so wichtigen Größe und Stärke. Spontane Aktionen sind gerade nicht dazu geeignet dieses euphorische Massengefühl zu erreichen, wenn sie auch einem kurzzeitigen Adrenalinkick zuträglich sein können.

Allerdings schicken sich andere Orten und Daten an, an die Dimensionen und Relevanz des Dresdner Aufmarsches anzuknüpfen (Dortmund, Bad Nenndorf). Hier gilt es für Antifaschist_innen wachsam zu bleiben und zu verhindern, den nächsten symbolträchtigen Aufmarsch heranwachsen zu lassen. Auch die Thematik der Bombardierung führt zu immer mehr, wenn auch kleineren Naziaktionen in der gesamten Bundesrepublik. So wurden im Februar deutschlandweit zahlreiche Aktionen von den Nazis die von bloßen internen Vortragsveranstaltungen und Schnipselabwürfen über zahlreiche Transpiaktionen und Infostände bis hin zu „Straßentheater“ reichten, durchgeführt.[6]

Es bleibt abzuwarten, ob sich die an Konzepte von Autoritarismus und Gehorsam gewohnten Nazis jenseits verbaler Drohgebärden offensiv gegen Polizei und Ordnungsmacht stellen werden. Erste Anläufe gab es dazu, es würde bedeuten das vorhandene Feindbild, was sich ins seiner gewaltvollen Attitüde primär gegen „Ausländer“ und „Linke“ richtet auch gegen den Staat auszuleben.

Langversion, AIB Nr. 90, Frühjahr 2011

[1] Vgl. Beschluss VerwG Dresden unter: http://www.gruene-fraktion-sachsen.de/ fileadmin/user_upload/Stellungnahmen/VG_DD_Beschluss_zum_19-03-2011.pdf zuletzt eingesehen 02.03.2011und Kleine Anfrage d. Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz (Linkspartei) Drs. Nr. 5/4592
[2] Das fragwürdige Agieren des Dresdner Verwaltungsgerichts und die aktuelle Rechtsprechung zu Naziaufmärschen, Blockaden und Protestveranstaltungen in Hör- und Sichtweite kann innerhalb dieses Artikels nicht weiter thematisiert werden.
[3] http://logr.org/chemnitzinfos/2011/01/10/19-februar-dresden-–-dem-recht-auf-gedenken-eine-gasse-erkampfen/
[4] http://logr.org/nsried/2011/02/25/zu-npd-und-gewalt/
[5] Rechte Gewalt jenseits von Versammlungen ist ein bekanntes Phänomen. Herausgestellt wird hier die Debatte um Gewalt gegen „Staatsorgane“ und auf Versammlungen.
[6] Die Nazis zählen selbst über 80 Veranstaltungen im Zeitraum vom 7. bis 13. Februar auf. Selbst wenn diese Höhe angezweifelt werden darf und es sich häufig nur um Schnipsel- oder Transpiaktionen handelte, kommt es bundesweit zu immer mehr Naziaktionen im Vorfeld des Datums der Bombardierung Dresdens (vgl. http:/www.gedenkmarsch.de/dresden/?p=844 – zuletzt eingesehen 6. März 2011). Auch wird versucht in Städten wie Magdeburg und Chemnitz mit eigenen Aufmärschen die Bombardierung zu thematisieren. Magdeburg und Dresden teilen sich dazu sogar die Startseite der Homepage.