Über die Kampagne „Thor muss weg“, die anteilnehmende Öffentlichkeit und Anti-Antifa als Zugpferd für die Organisierung der Neonazis
„Mit der Eröffnungsparty im so genannten „Klub Thor“ Ende Mai 2002 ist es für alle sichtbar geworden: Die Dresdner Neonazis haben wieder einen selbstverwalteten Treffpunkt. Erstmals seit dem konzeptionellen und finanziellen Scheitern des „Café Germania“ auf der Waldschlösschenstrasse, ist es ihnen damit gelungen, ein wichtiges Stück Infrastruktur für die neonazistische Szene auf zu bauen.“ [1]
Ziel der Kampagne „Thor muss weg“ ist es, das Haus zu schließen. Mit der außerordentlichen Kündigung durch den Vermieter am 10. Dezember zum Jahresende 2002, ist ein erfreuliches Zwischenergebnis der Kampagne erreicht. Tatsache ist, dass die Nazis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch drin sind. Wir gehen davon aus, dass sich daran bis zum regulären Ende ihres Mietvertrages Ende April 2003 nichts ändert. Denn ein eventueller juristischer Streit um die außerordentliche Kündigung würde länger andauern, als bis Mai. Nach den gelungenen Aktionen der Kampagne und der darauffolgenden Kündigung ist etwas Ruhe in der Auseinandersetzung um den “ Klub Thor“ eingekehrt.
Jedoch nur vorläufig, denn die nächsten großen Ereignisse (z.B. die antifaschistische Demonstration am 15.02.) werfen ihre Schatten voraus. Die Kampagne „Thor muss weg“ wurde von einem, für Dresden ungewöhnlich großen öffentlichen Interesse und von diversen Reaktionen der Nazis begleitet. Die Aktionen der Nazis hatten einen ungewohnt defensiven Charakter. Ihr Handeln bestand ausschließlich im Abarbeiten an Veröffentlichungen und Aktivitäten der Kampagne. Dabei „zeigte sich ein deutlicher Paradigmenwechsel in der politischen Ausrichtung in der Anti-Antifa-Arbeit.“, den das Antifaschistische Infoblatt in seiner Herbstausgabe schon bundesweit festgestellt hat. [2]
Die bisher vorherrschende Gestalt der militanten Anti-Antifa-Arbeit waren entweder Namenpreisgaben, Drohungen oder gewalttätige Übergriffe, aber auch versuchte Störungen von Veranstaltungen, wie beispielweise zuletzt bei der Infoveranstaltung der Kampagne am 20.11.02 geschehen. Neben diesem militanten Auftreten, forcieren sie ihre Öffentlichkeitsarbeit, die hauptsächlich auf der klubeigenen Internetseite stattfindet. Beides soll die Mitwirkenden rund um die Kampagne einschüchtern. Betrachtet man die veröffentlichten Fakten zu einzelnen Personen und Organisationen näher, lässt sich feststellen, dass den Nazis die Suchmaschine Google ein Begriff ist und sie Zeitung lesen können. Das war es aber auch schon. Denn beim Abschreiben hört es wieder auf. Dass z.B. im Mai`01 in Bernsdorf eine Demonstration gewesen ist, dürfte auch den Einheimischen neu sein. Den Gehalt ihrer weiteren Recherche macht eine Meldung vom 8.12.02 auf einer Naziseite aus der sächsischen Schweiz deutlich. „Die aad wies uns letztens auf eine relativ uninteressante Netzseite hin, welche von Antifaschisten als „antifa vernetzung oberelbe“ bezeichnet wird.“ [3]
Dass die Anti-Antifa-Initiative, der sogenannte „Arbeitskreis Antifa Dresden“ (aad) nach einem halben Jahr diese Seite findet, ist schon eine tolle Leistung. (Die Seite diente zu Ostern’02 zur Mobilisierung nach Sebnitz und wird seitdem nicht mehr genutzt) Vieles von den Veröffentlichungen der Nazis ist zwar heiße Luft, gefährdet aber durch Ungenauigkeiten und Falschinformationen auch völlig unbeteiligte Personen. „Eine andere Form der Anti-Antifa besteht in politischen Handlungen, die sich eher an die allgemeine Öffentlichkeit richten, um sie zur Positionierung gegen Antifaschisten zu bewegen….“ [4]
Dies tritt bei den Dresdner Nazis in den letzten Monaten zunehmend in den Vordergrund. Angefangen hatte alles mit ihrer Demonstration im Juli letzten Jahres, die unter dem Motto: „Den antifaschistischen Konsens durchbrechen“ stand. Dort präsentierten sie sich als die von allen verfolgte Unschuld und wollten „auf die skandalösen Verflechtungen zwischen kriminellen und gewalttätigen Antifabanden und städtischen Behörden des Ordnungsamtes, sowie den diesen Staat sichernden Organen des Staatsschutzes (politische Polizei) bis hin zu Fraktionsmitgliedern des Dresdner Stadtrates und des Sächsischen Landtages“ [5] hinweisen.
Diese obskuren Behauptungen waren weder neu, noch besonders originell, erfreuten sich aber zu der Zeit gerade in Sachsen-Anhalt großer Beliebtheit. Mit dieser Demo auf den Zug der Anhaltiner aufgesprungen, fehlte den Dresdner Nazis nur noch ein Ereignis, womit sie ihre Behauptungen belegen konnten. Dazu nahmen sie ausgerechnet den 1.Mai. Und für wahr, es passte ja alles so schön zusammen: ‚Während sich „gewalttätige Antifabanden“ dem NPD-Aufmarsch in den Weg stellten, ging das Bündnis „Dresden gegen rechts- jetzt Gesicht zeigen“ demonstrativ in die entgegengesetzte falsche Richtung und lenkte dadurch die Vertreter der „bürgerlichen Schmutzpresse“ von den kriminellen Handlungen der „Antifabanden“ ab. Um den Schein zu wahren und die „Kumpanei zwischen Staat und Antifa“ nicht zu offensichtlich werden zu lassen, bekamen einige Vertreter der „Antifabanden“ dann doch noch von Zivibullen eins auf die Nase.
Spaß beiseite, in den Auseinandersetzungen um ihren „Klub Thor“ verfahren sie auf die gleiche Weise. Zum Beispiel der Überfall auf einen Jaguarfahrer am 28.07.2002, der von den Nazis zwar nie geleugnet wurde, aber den sie in ihrer Öffentlichkeitsarbeit dazu benutzten, sich selbst zum Opfer der Antifa zu deklarieren. In dem Aufruf zu ihrer geplanten Demo „Gegen die Kriminalisierung nationaler Jugendarbeit – Für Freiräume und Selbstbestimmung“ am 15.02.2003 bleiben sie ihrem Verschwörungsszenario treu: „(…) in Dresden funktioniert das Zusammenspiel: Kriminelle Linke machen Anschläge auf den Klub Thor – Behörden lösen gewaltsam nationale Feiern und Veranstaltungen…auf… Das alles führt zu einer gewollten Polarisierung, die sich in den Medien widerspiegelt und Druck auf die politischen Verantwortlichen in der sächsischen Landeshauptstadt ausübt (sofern diese nicht selbst zu den Drahtziehern der Hetzkampagne gehören).“ [6] Das allein zeigt schon, dass die Nazis wenig Plan von politischen Verhältnissen haben. Ausgerechnet den DGB-Bezirksvorsitzenden als „sattsam bekannten Linksextremisten“ zu bezeichnen und ausgerechnet der PDS in Dresden auch noch eine enge Kooperation mit der Antifaszene zu unterstellen, schießt den Vogel endgültig ab.
Der Erlanger Politologe Prof. Kurt Lenk bezeichnet diese Form der Argumentation in einem Gespräch mit den Frankfurter Heften (11/00) als „die Pose des Märtyrers (…) Das Pendant zu diesem Märtyrer-Syndrom ist die Erzeugung eines kollektiven Bösen.“ Aus dieser Abgrenzung von allen anderen, speist sich ihr Selbstverständnis als sogenannte „Systemopposition“, streng nach der Devise: Alle doof, außer uns. Dabei wird die vermeintliche Repression zu ihrem alleinigen Gradmesser und ein Polizeieinsatz wegen Ruhestörung, den jeder Partyveranstalter schon mal erlebt hat, zum Politikum umgedeutet. Dadurch gelingt eine Abgrenzung vom sogenannten „Rest“ relativ einfach.
Weitaus schwerer fällt es den Nazis, innerhalb verschiedenster gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, sei es Sozialpolitik, Umweltschutz oder die derzeitige Friedenspolitik eigene Akzente zu setzen. Ihre Forderungen sind oftmals deckungsgleich mit denen des konservativen Lagers und wurden teilweise von den Bundesregierungen schon längst verwirklicht und manchmal übertroffen. Eine rassistische Einstellung ist eben keine oppositionelle Haltung in dieser Gesellschaft. Die Nazis helfen sich auch hier wieder mit dem Mittel der Zuspitzung und konstruieren darüber eine Abgrenzung. Dabei setzen sie auf „ein apokalyptisches Moment, wonach entweder die Entwicklung nach rechtsextremer Programmatik zu verlaufen hat oder der Untergang Deutschlands bevorsteht. (…) Hier wird permanent ein Bedrohungsgefühl erzeugt, um die Adressaten mobil zu machen.“ [7]
Diese Mobilisierung zeigt sich in einer Fülle von Demonstrationen zu den immer gleichen Themen, sei es zum Todestag von Rudolf Hess, dem 1.Mai, gegen die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944“ und Repression. Auf diesen Demos sind immer wieder die gleichen Leute anzutreffen, da die Nazis es nicht schaffen, ihren „Szenekreis“ zu verlassen. Erst wenn bürgerliche Kreise solche apokalyptischen Momente aufgreifen, können die Argumentationen der Nazis außerhalb des Szenekreises ihre Wirkung entfalten. Dieses Wechselspiel konnte man sowohl bei der Debatte um die faktische Abschaffung des Asylrechts 1992/93, als auch bei den Diskussionen um die ursprüngliche Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ beobachten.
Ähnliches zeigte sich auch in Dresden im Zusammenhang mit der Kampagne „Thor muss weg“. Der Lügensalat der Nazis erlangte eine ganz andere Wirkung, nachdem er durch die „Sächsische Zeitung“ (SZ) transportiert wurde. War die Auseinandersetzung mit der Nazi-Szene in Dresden bisher von relativ geringen öffentlichen Interesse gekennzeichnet, (Beispiele dafür sind die zahllosen Nazidemos, die in der bürgerlichen Presse allenfalls in Randnotizen ihren Niederschlag fanden) ist es umso erstaunlicher, dass es im Zusammenhang mit dem „Thor“ selbst und der Kampagne zu einer vergleichsweise kontinuierlichen Berichterstattung gekommen ist. Hervorgetan hat sich damit die „Sächsische Zeitung“, in Person von Alexander Schneider.
Allerdings waren die Artikel der SZ den Bemühungen um ein breites Bündnis alles andere als förderlich. Mit dem Totalitarismustenor des Duos Backes/ Jesse hat die SZ das Bündnis mehr in Bedrängnis gebracht, als es die Nazis hätten jemals schaffen können. Um eine in ihren Augen „neutrale“ Berichterstattung bemüht, kamen die Betreiber des „Klub Thor“ des öfteren zu Wort, sowie auch das LfV, das bei der SZ über jeden Zweifel erhaben ist. Dies gipfelte unter anderem in der Ausgabe vom 28.11.2002, in der der Autor Schneider vier Artikel zum Thema schrieb. Dort zeigte sich der dilettantische „Patchwork-Journalismus“ am deutlichsten. Anscheinend ohne jegliche Hintergrundwissen publizierte die SZ alles, was ihr in den Pinsel diktiert wurde. Weder die sich daraus ergebenden Widersprüche, noch die falschen Zitate führten dazu, dass jemand in der Redaktion stutzig wurde.
Damit trug die Tageszeitung mehr zur Verklärung denn zur Aufklärung der Geschehnisse bei. Aufbauend auf dem Extremismusverständnis des Autors, der sich von rechts wie links in seiner Sonntagsruhe gestört sieht, entpolitisierte er die Auseinandersetzung und reduzierte die Kampagne auf ein „Gewaltproblem“. Er berichtete in Zusammenhang mit der Kampagne nur von Farbbeuteln, Sachbeschädigungen und Drohungen gegen Mieter und Vermieter des „Klub Thor“ und zitierte gleichzeitig die armen Nazis als Sozialarbeiter, die dort „nationale Jugendarbeit“ betreiben und „Jugendlichen helfen, sich zu entfalten.“ Schneider lässt sie völlig distanzlos zu Wort kommen und kolportiert ihre Propaganda. Damit übersetzte er die Anti-Antifa- Thesen der Nazis, die sich selbst als unschuldige Opfer „von Kumpanei zwischen Staat und kriminellen Antifabanden“ sehen, ins Bürgerliche und machte sie einem breiteren Publikum zugänglich. Daher überrascht es nicht, wenn die Nazis auf ihrer Homepage Schneider genüsslich zitierten und zum Kronzeugen machen. [8] Auch wenn Herr Schneider nach den Protesten der Zivilgesellschaft auf den ersten Blick ruhiger über die Kampagne schrieb, sollte sich niemand darüber hinwegtäuschen lassen, dass für ihn nach wie vor die Beteiligung von unabhängigen Antifas ein Gräuel ist.
Trotzdem sich Schneider seinen Ansichten treu bleibt, sehen die Nazis (in ihrem einfach gestrickten Weltverständnis) eine „Kehrtwendung“ in der Berichterstattung und degradierten nun auch ihn zu einem der „Schmier-Kulis der Schmutzpresse“, der „aufhetzen möchte.“ Neben der Kündigung durch den Vermieter ist es der Kampagne bisher gelungen, über den üblichen Personenkreis hinaus die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, dass Nazis auch jenseits von Demonstrationen und Übergriffen ein Problem darstellen. Wir halten es für wichtig, dass die Kampagne wie bisher Wert darauf legt, dass das Problem der Organisierung von Nazis politisch diskutiert wird und die zu befürchtende Reduzierung auf ein Problem der Hygiene und mietrechtlicher Bestimmungen verhindert. Wir gehen davon aus, dass die Nazis so schnell nicht ausziehen werden und bereits heute ein neues Objekt suchen. Die weiteren Aktivitäten der Kampagne sollten daher auch auf potenzielle neue Vermieter ausgerichtet werden. In diesem Zusammenhang kommt der geplanten Demonstration am 15.02.2003 besondere Bedeutung zu. Mit ihr kann es gelingen, das Thema weiter in die Öffentlichkeit zu tragen und gleichzeitig die bisher erreichte Mobilisierung innerhalb der Antifaszene weiter zu forcieren.
1 Infoflyer der Kampagne „Thor muss weg“ Nov. 2002
2 Antifaschistisches Infoblatt (AIB) Nr.57, Herbst 2002
3 www.elbsandstein.org, Dezember 2002
4 AIB Nr.57, Herbst 2002
5 Aufruf des Aktionsbündnis Dresden vom Juli 2002
6 zitiert nach www.klub-thor.tk vom 13.01.2003
7 Prof. K. Lenk, Frankfurter Hefte 11/00
8 Bereits bei dem Überfall auf einen Jaguarfahrer vor „dem Klub Thor“ Ende Juli 2002 räumte Schneider den Nazis Platz in seinen Artikeln ein. Seine Berichterstattung ging soweit, dass er eindeutige Hinweise auf den Klarnamen des Opfers gab.