Seit Mitte Juli ziert die Ankündigung für eine Veranstaltung in Dresden am 25. August 2018 den Twitter-Account der Identitären Bewegung (IB). Unter dem Motto „Europa Nostra – Identität und Heimat bewahren“ ist auf der Cockerwiese eine Versammlung für 600 Teilnehmende angemeldet – großspurig wird das als „Festival der Bewegung“ beworben. Der Blick auf die Ankündigung zeigt aber: Hinter dem „Festival“ versteckt sich der übliche identitäre Wanderzirkus – der offenbar hofft in Dresden genug Dumme zu finden, die die klammen Kassen füllen.
Das gebotene Programm ist spärlich: Der „patriotische Youtube-Star“ der Identitären Martin Sellner aus Österreich wird „hautnah“ bei „einem interessanten Impulsvortrag“ zu erleben sein. Sprechen sollen außerdem Sellners Stellvertreter Patrick Lennart, der eh in Dresden ansässige Philipp Stein vom „Ein Prozent e.V.“, sowie die reisefreudigen Daniel Fiß (Bundesvorstand IB Deutschland) und Alex Kleine (IB Sachsen und Leipzig)
Neben den ausschließlich männlichen Rednern soll das „breite Mosaik patriotischer Jugendkultur“ mit Ausstellungsständen präsentiert werden. Auffällig sind dabei vor allem die personellen „Mehrfachbelastungen“, die zeigen, dass die „breite Jugendkultur“ im wesentlichen auf wenigen Schultern lastet. So sind Sellner und Lennart sowohl als Betreiber des „Phalanx Europa Shops“, als auch als Leiter der IB Österreich mit einem Stand angekündigt. Zusätzlich will Sellner sein „Herzensprojekt“ vorstellen, die „Patriot Peer“, eine Art Dating-App für Identitäre. Alex Kleine wird sich nach seiner Rede beim Stand des Zwei-Mann-Youtube-Projekts „Laut gedacht“ einfinden, dass er zusammen mit Philip Thaler betreibt. Auch die „120db“-Kampagne soll vorgestellt werden, wahrscheinlich von Freya Honold und Alina Manescu (beide IB Dresden). Sie gehören neben Ingrid Weiß aus Wien zu den wenigen Gesichtern der Kampagne, welche seit mehreren Monaten verstummt ist, nachdem der geforderte „wahre Aufschrei“ ausblieb. Die beiden Dresdnerinnen könnten aber auch den Stand des „Ein Prozent e.V.“ betreuen, wie sie es schon auf einem Kongress in Aisterheim Anfang des Jahres taten. Möglicherweise übernimmt diese Aufgabe aber auch der Vorsitzende des „Ein Prozent e.V.“ Phillip Stein höchstselbst – sofern er nicht gerade am Stand seines „Jung Europa Verlags“ gefragt ist. Nicht fehlen darf auch der von Daniel Fies betriebener „IB-Laden“ und das „Pils Identitär“, wobei die Standbetreiber angesichts zu erwartender Versammlungsauflagen wohl eher auf dem Trockenen sitzen werden.
Zum ebenfalls angekündigten „vielfältigen“ Kultur- und Musikprogramm finden sich zur Zeit auf der Seite des „Festivals“ keinerlei Informationen. Aber auf den Eintrittskarten wird der Identitäre „Rapper“ Chris Ares angekündigt, der seinen Auftritt zusammen mit „Komplott“ inzwischen auch auf Facebook bewirbt. Das versprochene Mosaik erweist sich auch an der Stelle als löchrig oder zumindest sehr, sehr klein.
Das einzige, was auf den ersten Blick an ein Festival erinnert, sind die Ticketpreise. Im hauseigenen IB-Shop werden zwei verschiedene Tickets angeboten: Für das Soliticket werden 25 Euro verlangt, das „Fördererticket“ schlägt mit 55 Euro zu Buche. Als „Gegenleistung“ wird mit Vergünstigungen beim Kauf von weiterem IB-Merch geworben: „extra angefertigtes Veranstaltungsshirt , sowie eine eingerahmte A2-Collage der Identitären…“. Abgesehen von der offenkundigen Blödheit angesichts des „Programms“ freiwillig soviel Geld zu bezahlen, stellen diese Ticketpreise den öffentlichen Versammlungscharakter von „Europa Nostra“ grundsätzlich in Frage.
Fraglich ist, ob das Festival tatsächlich „überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet“ ist. Zumindest zum Förderticket heißt es explizit, dass damit nicht nur die Veranstaltungsunkosten ausgeglichen werden sollen, sondern ein „direkter Beitrag für die politische Arbeit der Identitären … [ge]leistet“ werde. Offensichtlich wollen die Identitären ihre Kassen auffüllen, und das unter dem Deckmantel des Versammlungsgesetzes. Denn als gewöhnliche Veranstaltung wäre das Festival kaum rentabel: Nicht das Land hätte in diesem Fall die anfallenden Kosten zu tragen, sondern die IB als Veranstalterin. Dass hier die Gewinnerzielungsabsicht im Vordergrund steht, zeigt sich schon daran, dass Sellner als „Aushängeschild“ des Festivals in der Vergangenheit regelmäßig in Dresden bei Pegida-Versammlungen aufgetreten ist und das die entsprechenden IB-Projekte und -Kampagnen ebenso regelmäßig dort vorgestellt wurden – ohne das hierfür Tickets gekauft werden mussten.
Dass die IB trotzdem hofft, dass viele Leute auf diesen Nepp hereinfallen, zeigt wie eng es um die Vereinsfinanzen stehen muss. Gründe für die Geldprobleme gibt es einige: Da wäre das Verfahren gegen führende Kader der IB Österreich, die wiederholten Kontokündigung durch Bankinstitute oder unerwartete Extrakosten wie z.B. die 15.000 Euro für die abgebrannte Gartenlaube von Alex Kleine. Auch ihre Kampagnen sind nicht langfristig finanziert: So musste die „Defend Europe“-Kampagne frühzeitig abgebrochen werden und ein eigens gechartertes Schiff wurde samt Besatzung ohne Geld in Barcelona zurückgelassen.
Dresden als Letzte Trutzburg des „Patriotischen Widerstandes“
Dresden wurde als Veranstaltungsort ganz bewusst gewählt:
Die Identitären brauchen das bundesweite Narrativ der „Hauptstadt des patriotischen Widerstandes“ das Dresden anhaftet. In ihm kanalisiert sich die mit Pegida aufgekommene Hoffnung eines „metapolitischen Wandels“, durch eine Art „soziale Bewegung von Rechts“. Logisch, dass die IB hier eine starke Ortsgruppe vorweisen will. Diese wurde um 2016 unter massiver Anleitung der bundesweiten Strukturen reanimiert. Seitdem hat sich die IB Dresden, neben „Kontrakultur“ aus Halle, zu einer der aktiveren Gruppen Ostdeutschlands entwickelt. Einige ihrer Akteur*innen treten inzwischen auch im bundesweiten Kontext für die IB auf. Vor den Landtagswahlen 2019 soll die Position der Ortsgruppe gestärkt und mit Aufmerksamkeit versorgt werden. Gerade die Vernetzung der Identitären Dresden mit der AfD bzw. JA lässt sie hoffen, nach der Landtagswahl an der von ihnen erhofften Neustrukturierung des Freistaates beteiligt sein zu können.
In Dresden kann sich die IB auf ein größeres Unterstützer*nnen Umfeld verlassen, so stellten die Pegida-Organisatoren Lutz Bachmann und Siegfried Däbritz bei einer IB-Demonstration am 17. Juni 2017 in Berlin den Lautsprecherwagen. Auch Pegida-Laufpublikum dürfte hier zu erwarten sein. Auf das ist man angewiesen, um möglichst viel Geld zu akquirieren.
Einkalkuliert wurde sicherlich auch, dass Gegenproteste in Dresden weniger groß ausfallen, als in anderen Großstädten. Die jahrelange Präsenz von Pegida und Co. sorgt für einen Gewöhnungseffekt und erschwert zivilgesellschaftlichen Widerstand. Bisher gibt es auch noch keine Hinweise, dass die träge und Rechtsaußlegern eher wohlgesonnene Versammlungsbehörde in Dresden ernsthaft die Rechtmäßigkeit des Veranstaltungskonzepts prüft. Nichtdestotrotz ist den Identitären in Dresden Gegenprotest sicher, und der ist angesichts der innerstädtlichen Lage gewollt. Gegenproteste verstärken die mediale Präsenz, bieten Gelegenheit sich als Opfer darzustellen und Selbstvergewisserung über die eigene gesellschaftliche Relevanz.
Antifaschistische Umgang mit „Europa Nostra“
Das wirft für Antifaschist*innen natürlich Fragen auf: Springen wir über das Stöckchen der IB, nehmen die zugewiesene Rolle ein und unterstützen so deren mediale Inszenierung? Oder passen wir die Protestformen unseren Analysen an und gehen neue Wege?
War es am 17. Juni 2017 in Berlin noch unabdingbar, die Demonstration der Identitären zu begleiten und zu stören, scheint eine klassische Gegendemonstration bei „Europa Nostra“ eher kontraproduktiv. In Berlin wurden die Identitären nach wenigen hundert Metern blockiert und der „Bewegung“ die Begrenztheit ihrer Durchsetzungskraft deutlich gemacht. Die europaweit in die „Hauptstadt des Multikulti“ angereisten Identitären mussten trotz kleinerer Durchbruchsversuche nach stundenlangem Warten ihre Demo für beendet erklären und unverrichteter Dinge nach Hause fahren. Dass sie in diesem Jahr keinerlei Anstalten gemacht haben, diesen Versuch zu wiederholen, ist Ergebnis erfolgreichen antifaschistischen Handelns. In Dresden aber stehen die Dinge ein wenig anders: Eine stationäre Veranstaltung in einem weiträumigen, leicht abzusichernden Gebiet, ein zu erwartender routinierter Polizeieinsatz auf seit Jahren erprobtem Gelände, eine zu erwartende Einsatzplanung mit dem Ziel Blockaden grundsätzlich zu verhindern. Keine erfolgsversprechenden Aussichten für tatsächliche Störung des Ablaufs oder gar Verhinderung der Veranstaltung, stattdessen die Perspektive der IB den notwendigen Protest für ihre Selbstinszenierung als Opfer und mediale Aufmerksamkeit zu liefern.
Also einfach gar nichts machen?! Nein, natürlich nicht! Die IB setzt mit ihrer Veranstaltung auf Aufmerksamkeit, sie wollen mit ihren rassistischen Positionen im Diskurs wahrgenommen werden, diesen mitbestimmen und weiter nach rechts verschieben. Hier sollte am 25. August unser Ansatzpunkt liegen. Reden wir über Rassismus und die Folgen, Anlässe gibt es derzeit genug: das Urteil im NSU Prozess und die Forderung der Hinterbliebenen und Überlebenden Kein Schlussstrich; ein nachwievor Nichternstnehmen der Gefahr durch rechtsterroristische Strukturen, was der kürzlich veröffentlichte Verfassungsschutzbericht mit seiner Einschätzung zu „Combat 18“ als „verbalradikale Militanz“ wieder eindrucksvoll unter Beweis stellte; die Kriminalisierung der Seenotrettung, die ernst gemeinte Frage, ob man Geflüchtete im Mittelmeer besser ertrinken lassen sollte und dagegen die Forderung Zehntausender nach Seebrücke statt Seehofer; die Berichte Tausender zu Alltagsrassismus in Deutschland unter dem #metwo und weiterhin die sture Behauptung, das würde es nicht geben.
Machen wir also mit verschiedenen Aktionen an dem Tag das zum öffentlichen Thema, was die IB mit ihrem „Europa Nostra“-Zirkus propagieren wollen: Rassismus in all seinen Facetten.