Zuerst veröffentlicht im „Der Rechte Rand“ (DRR) 193/2021
Seit zwei Jahren agiert eine neue Neonazi-Kameradschaft in Dresden. Sie ist aus dem Niedergang der »ldentitären Bewegung« (IB) hervorgegangen und füllt das Vakuum, das die »Freie Kameradschaft Dresden« nach Verurteilung als kriminelle Vereinigung hinterlassen hat. »Werra Elbflorenz« steht in ihrer Entwicklung exemplarisch für das Verschmelzen zwischen der »alten« und »neuen Rechten«.
»ldentitäre Bewegung Dresden – alter Wein in neuen Schläuchen«, hieß es 2017 in der antifaschistischen Recherche »Druckmachen«. Zu dieser Zeit war die »ldentitäre Bewegung« (IB) Dresden gerade auf dem Höhepunkt ihres Aktionismus. Der folgte noch dem klassischen Schema der »Sellner Fanboys und -girls«: Abgrenzung von Neonazis, Rauchtöpfe und Transparente. Ihre Aktivitäten beschränkten sich auf Banneraktionen, kleinere Störversuche im universitären Kontext oder Demonstrationen mit PEGIDA. Das Jahr 2017 sollte der Höhepunkt der Dresdner Gruppe bleiben, aus der sich zwei Jahre später die Kameradschaft »Werra Elbflorenz« entwickeln sollte. Diese Richtung wurde bereits Ende 2018 erstmals sichtbar: Im Dezember suchten junge Männer im alternativ geprägten Stadtteil Dresden-Neustadt die gewalttätige Auseinandersetzung mit Migrant*innen und Antifaschist*innen. Mit dabei waren neben der IB-Kerngruppe auch lokale Neonazis und Jugendliche aus dem Umfeld der »Blue- White-Crew«, einer Fangruppe des Eishockeyclubs »Dresdner Eislöwen«.
Im August 2021 beschreibt das rechte Blog »Der Funke« im Artikel »ldentitäre Bewegung: Rückblick, Kritik, Ausblick« den neuen Kurs retroperspektiv: »Die IB selbst braucht keine zentrale Struktur und durchnummerierte Ortsgruppen mehr. Lokale Bewegungen können sich eigene Namen geben oder, im besten Fall, aktivistisch ohne jede konkrete Gruppenidentität auftreten.« Das offene Auftreten solle gegen das Schlauchtuch, die »Turneinlagen auf dem Brandenburger Tor« gegen »mob-artige und präzise geplante Interventionen« eingetauscht werden. Diese Entwicklung ist einerseits der Repression gegen die »ldentitäre Bewegung« und andererseits dem mangelnden öffentlichen Rezipieren der Aktionen und damit verbundenen Rekrutierungsproblemen geschuldet. In Dresden kommt hinzu, dass mit den Verurteilungen der »Freien Kameradschaft Dresden« eine strukturelle Lücke entstanden war.
So folgten ab September 2019 Teile der ehemaligen IB Dresden dem Kurswechsel und traten unter dem Namen »Werra Elbflorenz« an die Öffentlichkeit. Zur Gründung fand eine Wanderung in der Sächsischen Schweiz statt, bei der Grundlagen zum Thema »Körper und Geist« vermittelt wurden, sowie ein Kampfsporttraining. Wanderausflüge und Kampfsport gehören bis heute zum festen Repertoire der Kameradschaft. Schon vor der Gründung traten einige Protagonist*innen beim »Kampf der Nibelungen« 2018 in Ostritz und beim »Tiwaz«-Turnier 2019 bei Zwickau auf. Hinzu kommt der Austausch und die Vernetzung mit anderen Kameradschaften: 2020 besuchten sich »Werra Elbflorenz« und der mittlerweile verbotene »Aktionsblog MV« sowie deren Kampfsportableger »Baltic Korps« gegenseitig.
»Werra Elbflorenz« ist ein Cocktail verschiedener rechter Konzepte und Strukturen: ehemalige aus der IB, eher subkulturell angehauchte Eishockey-Ultras, klassisches NPD- und JN-Spektrum. Das Vorgehen erinnert an die in den 2000er Jahren aktiven »Freien Kräfte Dresden«, deren Akteur*innen in verschiedenen Kontexten wirkten, aber unter einem Label zusammenfanden. Die Organisierungserfahrungen dürften durch die Beteiligung älterer Neonazis aus dem Umfeld des »Haus Montag« in Pirna vorhanden sein.
Inhaltlich orientiert sich »Werra Elbflorenz« am IB-Vokabular: Ziel sei »gemeinsam eine Kontrakultur zu schaffen« und die »politische, soziale und kulturelle Rückeroberung« Dresdens. »Dresden verteidigen« prangt auf den ersten über Telegram vertriebenen Stickern. Offener als zuvor bei der IB ist der NS-Bezug. So ziert die Sticker jene Bogenschützenplastik, die Teil des 1933 bis 1936 errichteten Grünzuges am Dresdner Elbufer ist – ein Vorzeigeprojekt des NSDAP-Bürgermeisters Ernst Zörner.
Der Aktionsrahmen der Gruppe hält sich bislang in Grenzen. Neben einzelnen Banneraktionen standen Wandern und Demonstrieren im Mittelpunkt. Dass das Interesse bei »Werra Elbflorenz« mehr in der gewaltvollen Auseinandersetzung mit politischen Gegner*innen zu liegen scheint, zeigt sich nicht nur an regelmäßigen Kampfsporttrainings. Auch die provokanten Besuche linker Stadtteile und die Beteiligung an »Action« versprechenden Demonstrationen, wie »Querdenken« in Leipzig im November 2020, zeugen davon. Das soll beim »gesunden jungen, männlichen Beobachter einen einzigen unweigerlichen Gedanken (hervorrufen): ich könnte, ich sollte, ja ich muss einer von denen sein«., So beschreibt »Der Funke«, wie die aktuellen Rekrutierungsprobleme anzugehen seien.
»Werra Elbflorenz« steht exemplarisch für eine im deutschsprachigen Raum beobachtbare Entwicklung der »ldentitären Bewegung« und für das Zusammenwachsen verschiedener rechter Strömungen. Das männlich-kampfsportaffine Auftreten und die propagierte Kampfgemeinschaft ist attraktiv für Hooligans und Neonazis. Daneben bedienen bekannte Gesichter und – vor allem weibliche – Influenzer*innen Telegram, Instagram und Co. Ganz ähnlich ist das bei der von Martin Sellner aufgebauten Gruppe »Aktives Wien« zu beobachten. Es bleibt also: Alter Wein in alten Schläuchen.