Seit März 2023 hat die Kameradschaft „Werra Elbflorenz“ einen festen Treffpunkt in Dresden: Auf der Rothhäuserstraße 9 im Stadtteil Strehlen hat die Gruppe Räume in einem ehemaligen Industriebau bezogen.
Die Location wird von den Neonazis regelmäßig für Treffen, Veranstaltungen und als Ausgangspunkt für Aktivitäten genutzt. Vermietet werden die Räume von einem Autohändler und AfD-Mitglied.
Die Rothhäuserstraße liegt in einem Wohngebiet zwischen Dohnaer und Reicker Straße. Die Straße ist nicht lang und eine Sackgasse. An ihrem Ende liegt ein ehemaliges Fabrikgelände, auf dem bis vor ein paar Jahren eine Stahlbaufirma Kräne produzierte. Auf dem umzäunten Gelände steht eine etwa 800 Quadratmeter große Werkshalle, an ihrem südlichen Ende schließt ein eingeschossiger Anbau an.
Dieser Anbau ist neuerdings wieder in Nutzung: die Neonazis von „Werra Elbflorenz“ haben dort seit Frühjahr 2023 auf einen mindestens 100 Quadtratmeter großen Bereich Zugriff. Der Anbau hat Fenster in drei Richtungen, diese sind aber für gewöhnlich mit Jalousien verschlossen, die nur ab und zu ein stückweit geöffnet werden. Neugierige Blicke will die seit 2019 aktive Kameradschaft offenbar vermeiden. Die könnte es durchaus geben, denn das Gelände liegt gut einsehbar zwischen Gartensparte, Garagen und den Wohnblöcken des Otto-Dix-Rings. Zudem gibt es auch noch andere Mieter*innen in der Halle. Die Freiflächen drumherum werden als Stellflächen zur Vermietung angeboten.
Neuer Anlauf für ein „Nationales Zentrum“
„Werra Elbflorenz“ nutzt das Objekt als Ausgangs- und Planungsort für ihre Aktivitäten. Plakatieraktionen startet die Kameradschaft am Gelände, ebenso Ausflüge zu Wanderungen oder Demonstrationen. Der Einzug oder die Sommersonnenwende wurde mit Grillabenden gefeiert. Auch für Vernetzungstreffen mit gleichgesinnten Neonazis aus der Region und dem Bundesgebiet wird es genutzt. Außerdem ist davon auszugehen, dass „Werra Elbflorenz“ ihr Kampfsporttraining nicht nur unter freiem Himmel an Kiesgruben in Dresden Zschieren durchführt, sondern das Objekt auch als Trainingsraum dient. Kurz um: Die Kameradschaft versucht in der Rothäuser Straße 9 mehr oder weniger subtil ein „nationales Zentrum“ zu etablieren und darüber ihren politischen Einfluss in der Stadt zu stärken. Genau das hat die Gruppierung, als Ziel in einem Interview mit „Ein Prozent“ im März dieses Jahres formuliert:
„Für uns ist der Straßenprotest und -aktivismus die eine Seite der Medaille, die andere – eigentlich weitaus wichtigere – ist die Bildung von starken Charakteren in einer organischen Gemeinschaft, […] und letztendlich die Schaffung eigener Räume im politischen Vorfeld (Kulturkampf von Rechts).“
Damit schickt sich „Werra Elbflorenz“ an eine Lücke zu schließen. Ähnliche ebenfalls von Kameradschaftsstrukturen genutzte Objekte gab es immer wieder in Dresden: Darunter das Café Germania am Waldschlösschen, der „Club Thor“ in Dresden-Mickten, der „Club 14“ in Dresden-Pieschen oder das Objekt in der Oskar-Röder-Straße. Viele dieser Objekte waren schnell Ziel antifaschistischer Proteste und hatten auch deswegen oft nur eine kurze Lebensdauer. Und auch wenn sich die Betreiber*innen der Objekte nach außen hin „unabhängig“ gaben: Sie waren immer mehr oder weniger offen verknüpft mit den Aktivitäten der NPD bzw. ihrer Jugendorganisation der JN. Und auch im Falle der Rothhäuserstraße spielt eine Partei eine Rolle. Nach dem Niedergang der NPD und ihrer Strukturen füllt nun die AfD und ihre Mitglieder die Rolle als Ermöglichungsstruktur für die neonazistische, männerbündische Organisierung.
Der Vermieter: Gut vernetzt im rechten Block
Vermietet wird das Objekt von Georg Kulcsár und Konrad Wohlfarth, die beide im Auto- und Immobiliengeschäft tätig sind – und mit der Kameradschaft auch politisch sympathisieren dürften. Kulcsár selbst ist AfD-Mitglied. Er unterschrieb 2017 den Aufruf „Mahnung zur Einigkeit“, mit dem ein Parteiausschluss von Björn Höcke abgewendet werden sollte. Vor allem der sogenannte „Flügel“ mobilisierte damals gegen das von der früheren Parteivorsitzenden Frauke Petry angestrebte Verfahren. Anlass war Höckes Dresdner Rede im Ballhaus Watzke, in der er unverhohlen seine faschistischen Positionen in Bezug auf Erinnerungskultur & Co. dargelegt hatte. Der folgende Machtkampf entschied sich zu Gunsten Höckes.
Für Kulcsár war es nicht die erste öffentliche Positionierung: Er bewegt sich im Umfeld des PEGIDA-Gründungskreises um René Jahn und Kathrin Oertel. Im November 2015 begleitete der 1980 geborene Kulcsár den PEGIDA-Gründer René Jahn zur Diskussionsveranstaltung des Deutschlandfunk (DLF) zum Thema „Pegida – nur noch Hass statt Dialog“ in die Räumlichkeiten der Landeszentrale für politische Bildung. Wenige Monate später, im Frühjahr 2016 nahm er gemeinsam mit Oertel an einer „Dialogveranstaltung“ in der Kreuzkirche teil. Als 2017 die Diskussion um das „Bus-Monument“ an der Frauenkirche entbrannte, wandte sich Kulcsár mit einem öffentlichen Brief an Oberbürgermeister Hilbert. Er bot darin an, das Kunstwerk gegen eine Gebühr von 1.945 Euro zu entsorgen. Das Geld habe er anschließend an die Kriegsgräberpflege in Dresden spenden wollen.
Auch im Arbeitsumfeld scheut sich Kulcsár nicht seine politischen Überzeugungen klar zu machen. 2020 machte ein Facebookposting darauf aufmerksam, dass in den Geschäftsräumen von „Auto-Kavalier“, dem Gebrauchtautohandel Georg Kulcsárs und Konrad Wohlfahrths, Aufkleber von „Ein Prozent“, der „Jungen Alternative Dresden“ sowie aus dem Versandhandel des Hallenser Neonazis Sven Liebig auslagen. Zum 10-jährigen Fimenjubiläum gratulierte unter anderem Hermann Hilse, rechter Demogänger und Sohn der beiden „Ein Prozent“-Gründungsmitglieder Helge und Katrin Hilse aus dem ostsächsischen Oybin. Der rechte Vorfeldverein unterhält seine Dresdner Büros nur einen Steinwurf vom Kavalier-Autohaus entfernt in der Kurt-Beyer-Straße 2. Auch diese Räume werden von einem AfD-Mitglied zur Verfügung gestellt: vom Dresdner Zahnarzt Hans-Joachim Klaudius.
Auch Georg Kulcsár und Konrad Wohlfahrth wurden für „Ein Prozent“ tätig. So vermieteten sie Räume in der benachbarten Georg-Mehrtens-Straße 7 an den Verein, der dort im Dezember 2020 sein „patriotisches Filmstudio“ eröffnete. Produziert wurden in den Räumlichkeiten die Formate „Laut gedacht“ und „Kulturlabor“. Die Sperrung mehrerer Youtube-Kanäle sorgte jedoch recht bald dafür, dass das Vorhaben auf dem Abstellgleis landete. Spätestens seit Frühjahr 2023 werden die Räume augenscheinlich von neuen Mietern genutzt.
Abmahnungen als Anschubfinanzierung und Waffen als Hobby?
Seit 2005 ist Kulcsár im Gebrauchtautohandel tätig. Zusammen mit Konrad Wohlfahrth betreibt er seit 2009 die „Admiral Deutscher Handelskontor GmbH“. Deren Website – mit Frakturschrift und Silhouette eines Militärs – wirkt wie ein politisches Statement. Die GmbH bildet das Dach für die beiden Autohandelsmarken „Auto-Kavalier“ bzw. „Auto-Frosch“ auf der Georg-Mehrtens-Straße 3 in Dresden-Reick. Mit Autoverkäufen lässt sich sicherlich Geld verdienen, zweifelhaft ist aber, dass damit der Kauf von Gewerbeimmobilien, wie in der Rothhäuserstraße und der Georg-Mehrtens-Straße 2 zu stemmen ist.
Offenbar setzen Kulcsár und Wohlfahrth auch auf andere Einnahmequellen: Ab 2009/10 trat die „Admiral Deutscher Handelskontor GmbH“ deutschlandweit mit Abmahnungen gegenüber anderen Autohäusern auf. Kulcsár und Wohlfahrth suchten dabei gezielt „auf einschlägigen Internetseiten für den Kfz-Handel nach Autohändlern, die als GmbH & Co. KG firmieren“, wie es in einer Pressemitteilung aus 2009 von Eurojuris Deutschland e.V. unter dem Titel „Abmahnung durch „Admiral Deutscher Handelskontor GmbH“ erhalten?“ heißt.
Diese wurden dann aufgrund eines angeblich fehlerhaften Impressums mit erheblichen Geldsummen abgemahnt. Das Vorgehen wurde in Fachportalen als „fragwürdige Abmahnpraxis“ mit dem Ziel „erhebliche Gewinne zu erwirtschaften“ beschrieben. Wieviel Geld über die Abmahnwelle generiert wurde, ist unklar. Die Rechnung ging jedoch nicht immer auf: 2010 verlor die „Admiral Deutscher Handelskontor GmbH“ in einem Gerichtsstreit vor dem Landgericht Berlin, bei dem es um einen Abmahnbetrag von 869 Euro ging.
Seit spätestens 2017 sind Kulcsár und Wohlfahrth stärker im Immobilienbereich aktiv und haben dazu die General Immobilien UG gegründet. Sie hat ihren Sitz wie der Autohandel auf der Georg-Mehrtens-Straße 3 und ist wahrscheinlich für die Verwaltung solcher Objekte, wie auf der Rothhäuserstraße 9 oder der Georg-Mehrtens-Straße 7 verantwortlich. Im Fokus scheinen vor allem ehemalige Industriegebäude zu stehen. Die Perspektive zumindest für die Rothhäuserstraße 9 scheint dabei keine langfristige zu sein, denn laut einem Rahmenplan aus 2020 will die Stadt Dresden u.a. dieses Grundstück in ein Wohngebiet umwandeln. Die Industriehalle selbst soll verschwinden.
Eine weitere Verknüpfung von Georg Kulcsár besteht zum Schießclub Dresden e.V., dort ist er Vorstandsmitglied. Der Verein wurde Ende 2019 gegründet und hat die „Förderung des Schießsports“ zum Ziel. Schießsport ist schon länger ein Hobby von Kulcsár, so trat er 2019 für den Strießner Schützenverein „Die Falken e.V.“ in einem Wettbewerb für Kurzwaffen an und belegte den 10. von 19 Plätzen. Bemerkenswert: Der neue Verein gibt als offiziellen Sitz die Enderstraße 94 an. Das ist just die Adresse an der der „Jungeuropa“ Verlag von Philipp Stein bei einer Briefkastenfirma in einem Bürokomplex einen Sitz unterhält.