Ein Blick zurück – Chronik 1992

September 1991 – Hoyerswerda | August 1992 – Rostock – Diese Daten und Städte stehen noch heute für die beispiellose Gewaltwelle gegen MigrantInnen, AsylbewerberInnen, sowie deren Unterkünfte zu Beginn der 90er Jahre. Unter dem Beifall und auch Mitwirken der „ganz normalen“ Bevölkerung wurden Wohnheime angezündet und Menschen angegriffen.

Befeuert durch die von 1991 bis 1993 in Politik, Medien und im Alltag geführte Debatte um das Asylrecht und Zuwanderung sahen sich Neonazis, rechte Jugendliche und deutsche Otto-Normalverbraucher motiviert und legitimiert den Worten Taten folgen zu lassen. Schließlich zeichnete sich die Debatte durch einen facettenreichen rassistischen Sprachgebrauch aus. Schlagworte wie „Asylant“ oder „Wirtschaftsflüchtling“, diskriminierende Beschreibungen oder „Überfremdungs“- Metaphorik wie „Asylantenflut“ oder stereotype Benennung von Flüchtlingszahlen als dramatisch oder stetig ansteigend war nicht nur an den Stammtischen sondern auch im Bundestag zu hören und in seriösen Tageszeitungen lesen.

Schlussendlich dienten dann nicht nur die rassistischen Argumentationsmuster sondern die dadurch angeheizten zum Teil pogromartigen Ausschreitungen gegen Migrant_innen selbst zur politischen Legitimation der faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl in Deutschland. Bereits 1992 beschloss der Bundestag das so genannte Asylbeschleunigungsgesetz, durch welches die schnellere Abschiebung ermöglicht worden ist. 1993 folgte dann die Grundgesetzänderung, durch welche das Recht auf Asyl eine massive Einschränkung erfuhr.

Für die unzähligen Angriffe dieser Jahre auch in Sachsen soll im Folgenden beispielhaft das Jahr 1992 dargestellt werden. In der Beschreibung der Ereignisse zeigt sich die Selbstverständlichkeit und Selbstsicherheit, mit der diese Taten begangen wurden. In einer massiv aufgehetzten, gewaltmotivierenden und gewaltlegitimierenden Stimmung rotteten sich rassistische Mobs zusammen und belagerten Asylbewerberheime, flogen Molotowcocktails zum Teil im Wochentakt, wurde ganz offen mit Gewalt gedroht.

Quelle: Büro Ulla Jelpke (MdB) und Pressebüro der PDS/LL: Über den schonenden Umgang der Bundesregierung mit dem Rechtsextremismus, Teil 4. Rechtsextremistische Gewalttaten in Deutschland August 1991 – Oktober 1993. Material zur Pressekonferenz am 01.07.1993 in Bonn

24.01.1992

In Lauter – in der Nähe von Hoyerswerda – findet eine Gemeindeversammlung zum Thema AusländerInnen statt. Wie vor wenigen Tagen bekannt gemacht wurde, sollen dort in Kürze 70 Flüchtlinge in einem ehemaligen Kinderheim untergebracht werden. Auf der Versammlung drohen viele BürgerInnen mit Gewalt gegen ausländische Flüchtlinge. Den Reden folgen Taten: Das Kinderheim wird verwüstet. (Neues Deutschland 27.01.1992)

13.03.1992

In Leisnig bei Leipzig ziehen maskierte und mit Eisenstangen bewaffnete Skinheads vor einer Asylunterkunft auf. (Neues Deutschland 20.03.1992)

18.03.1992

In Eilenburg bei Leipzig haben 30 Neofaschisten ein Asylbewerberheim überfallen. Die Neofaschisten warfen Brandflaschen gegen ein vor dem Haus abgestellten PKW und gegen einen Streifenwagen. (Neues Deutschland 20.03.1992)

29.03.1992

In Leipzig überfielen rund 30 neofaschistische Schläger das besetzte Haus in der Sternwartenstraße und steckten es in Brand. Die BewohnerInnen flüchteten auf das Dach, wo sie von der Feuerwehr gerettet werden konnten. Das Haus und mehrere abgestellte Autos wurden durch das Feuer zerstört. (Leipziger Volkszeitung 07.04.1992)

30.03.1992

In Leipzig beschießen Neofaschisten BewohnerInnen der Sternwartenstraße mit Leuchtpistolen, die gerade aus den Brandtrümmern des von Nazis abgefackelten Hauses ihre Habseligkeiten suchen. (Leipziger Volkszeitung 07.04.1992)

11.04.1992

In Hoyerswerda schlugen Neofaschisten die Fensterscheiben des Jugendclubs „Linksabbieger“ ein. (Neues Deutschland 13.04.1992)

06.06.1992

In Liebertwolkwitz bei Leipzig haben unbekannte Täter einen Brandanschlag auf ein Heim für AsylbewerberInnen verübt. Ein Brandsatz durchschlug ein Fenster und entzündete ein Zimmer, in dem drei Asylbewerber schliefen. Der Brand konnte durch die Heimbewohner gelöscht werden. Personen wurden nicht verletzt. (FAZ 09.06.1992)

11.06.1992

Mit einer Razzia haben um 4 Uhr früh insgesamt 70 Polizisten drei AsylbewerberInnenheime in Freiberg und Umgebung durchsucht, um angeblich nach Diebesgut zu suchen. Nach Informationen der Ausländerberaterin des Diakonischen Werkes Freiberg kam es dabei zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen die 50 Flüchtlinge in Gränitz, insbesondere gegen eine Familie verfolgter koptischer Christen aus Syrien. Ein medizinisches Gutachten stellte fest, dass Blutergüsse und Verletzungen „durchaus auf bestimmte Vorgehensweisen der Polizei zurückzuführen sein könnten.“ Laut der Ausländerberaterin sind Frauen in Unterwäsche im Aufenthaltsraum zusammengetrieben, protestierende Söhne von maskierten Einsatzkräften mit Waffen auf den Kopf geschlagen und ein kurdischer Vater vor den Augen seiner Kinder mit Schlagstöcken gepeinigt worden. Diebesgut wurde nicht gefunden. (Neues Deutschland und FR 13.06.1992)

Dem BKA sind nach Auskunft der Bundesregierung im 1. Halbjahr 1992 insgesamt 1443 fremden-/ausländerfeindliche motivierte Straftaten bekannt geworden, darunter 128 Brandanschläge, 178 Angriffe auf Personen 1137 sonstige Straftaten. Darunter Sachsen mit 12 Brandanschlägen, 13 Angriffen gegen Personen und 57 Sonstige. (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke über „Ausländerfeindliche und rechtsextremistische Ausschreitungen in der Bundesrepublik Deutschland im Monat Juli 1992“, Drucksache 12/3283, 23.09.1992)

15./16.07.1992

In Leipzig überfielen fünf maskierte Männer einen 21jährigen Vietnamesen in seiner Wohnung und schlugen ihn brutal zusammen. Der Mann musste mit Kopfwunden und Schädelhirntrauma schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden. Nach Angaben der Polizei waren die Männer mit Baseballschlägern und zwei Schrotflinten bewaffnet. Drei von ihnen brachen die Wohnungstür des vietnamesischen Ehepaars auf, drangen ins Schlafzimmer ein und schlugen mit Baseballschlägern auf den im Bett liegenden Vietnamesen. Eine Nachbarin wurde mit einer Schrotflinte bedroht. (TAZ 18.07.1992)

01./02.08.1992

Auf dem Rastplatz Thiendorf bei Dresden überfielen Neofaschisten einen Reisebus mit dänischen Pfadfinder-Kindern und schlugen mit Knüppeln auf den Bus ein. Die Skins warfen mit Flaschen und Steinen. Die Täter entkamen. (Neues Deutschland 03.08.1992)

24.08.1992

In Dresden ziehen acht neofaschistische Jugendliche vor ein Wohnheim, in dem polnische ArbeiterInnen untergebracht sind und grölen ausländerfeindliche Parolen. Die Polizei nimmt sieben Personen vorübergehend fest. (SZ 27.08.1992)

25.08.1992

In Dresden greifen neofaschistische Jugendliche das AsylbewerberInnenheim an. Sie werfen zwei Brandflaschen gegen das Heim und flüchten sofort. Die HeimbewohnerInnen können die Brandflaschen löschen. (SZ 27.08.1992)

28./29.08.1992

In Leipzig Grünau griffen 100 Neofaschisten das dortige Flüchtlingsheim an. Der Polizei gelang es mit Schlagstöcken die Angreifer abzuwehren. Vier Neofaschisten wurden festgenommen. (Welt am Sonntag 30.08.1992)

29./30.08.1992

In Leipzig steckten Neofaschisten ein Zeltlager für AsylbewerberInnen in Brand. Von den 50 AsylbewerberInnen wurde niemand verletzt. Die Polizei konnte mehrere Täter festnehmen. (FR 31.08.1992)

31.08./01.09.1992

In Lindenthal bei Leipzig wurde eine Asylunterkunft mit Steinen beworfen und ein davor stehendes Auto angezündet. (Neues Deutschland 02.09.1992)

01.09.1992

In Flöha bei Chemnitz griffen 250 neofaschistische Jugendliche ein Heim für Asylsuchende und eine Diskothek an. Die Neofaschisten warfen Steine und Brandsätze. Auch Polizisten und Passanten wurden angegriffen. Zwei Polizisten wurden verletzt. 18 Personen wurden festgenommen. (Neues Deutschland 03.09.1992)

04.09.1992

In Chemnitz wird aus einer Gruppe von Neofaschisten ein Brandsatz gegen die dortige Zentrale Aufnahmestelle geworfen, der aber nicht zündet. Danach griffen die Nazis eine Gruppe Antifaschistinnen an, es gab drei Verletzte. (TAZ 07.09.1992)

05.09.1992

In Neustadt randalieren 40 rechtsextreme Jugendliche gegen die dort lebenden Vietnamesen. (TAZ 07.09.1992)

11.09.1992

In Dippoldiswalde griffen ca. 30-40 Neofaschisten die Unterkunft für Asylsuchende an. Die neun anwesenden AsylbewerberInnen flüchteten in den Wald, während die Neofaschisten die Einrichtung demolierten. Die Polizei konnte 10 Neofaschisten festnehmen. (Neues Deutschland 14.09.1992)

12.09.1992

In Zittau warfen Unbekannte die Fensterscheiben des AsylbewerberInnenheims ein. (TAZ 14.09.1992)

14.09.1992

In Dresden Prohlis werfen jugendliche Neofaschisten drei Brandsätze gegen das AsylbewerberInnenheim. Vier Jugendliche werden festgenommen. (AK Nr. 346, 23.09.1992)

17.09.1992

In Chemnitz wird ein Brandanschlag auf ein Wohnheim von VietnamesInnen verübt. Die BewohnerInnen können das Feuer selbst löschen. (TAZ 19.09.1992)

20.09.1992

In Weißwasser warfen rechtsextremistische Jugendliche Brandsätze gegen eine Unterkunft für Flüchtlinge. Die Holzverschalung brannte durch einen Brandsatz an. Die Rechtsextremisten schossen auch Leuchtraketen auf das Heim. (TAZ 21.09.1992)

05.10.1992

In Eilenburg zogen ca. 30 Neofaschisten vor die Unterkunft für Asylsuchende auf, randalierten und riefen rassistische Parolen. Die Flüchtlinge bewaffneten sich daraufhin mit Knüppeln und Eisenstangen und schlugen die Nazis erfolgreich in die Flucht. 10 Neofaschisten wurden verletzt. (SZ 06.10.1992)

10.10.1992

In Meißen schossen Unbekannte mit einem Luftgewehr auf eine Unterkunft für Flüchtlinge. Ein Fenster wurde durch neun Einschüsse beschädigt. (Neues Deutschland 12.10.1992)

 

In Liebertwolkwitz bei Leipzig wurde das Flüchtlingsheim mit Steinen angegriffen. (FAZ 12.10.1992)

 

In Chemnitz griffen rund 30 zum Teil vermummte Neofaschisten ein Jugendzentrum an. (FAZ 12.10.1992)

 

In Markleeberg bei Leipzig wurde zweimal aus einem fahrenden Auto auf ein Heim für Asylsuchende geschossen. Die Polizei geht davon aus, daß die Täter eine Schreckschusspistole verwendeten. Es wurde niemand verletzt. (Leipziger Volkszeitung 13.10.1992)

17.10.1992

In Weißwasser haben Polizei und Bundesgrenzschutz einen größeren Überfall auf ein AsylbewerberInnenheim verhindert. Etwas 15 neofaschistische Jugendliche waren nach einem Konzert vor die Unterkunft der Flüchtlinge aufgezogen, die sie offenbar mit Steinen bewerfen wollten. (Leipziger Volkszeitung 20.10.1992)

 

06.11.1992

In Weißwasser wird ein Flüchtlingswohnheim mit Steinen und Flaschen angegriffen. (TAZ 16.11.19992)

 

17.11.1992

In Leipzig greifen mehrere vermummte Neofaschisten drei Türken mit Steinen an. Durch Gegröle hatten die Neofaschisten die türkischen Arbeiter, die in einem Wohncontainer untergebracht waren und für eine Fernmeldefirma arbeiten, nach draußen gelockt, wo sie in einen regelrechten Steinhagel gerieten. (Leipziger Volkszeitung 20.11.1992)

 

21.11.1992

In Leipzig griffen unbekannte Täter mit Steinen das Heim für AsylbewerberInnen an. Es wurde ein PKW beschädigt. Personen kamen nicht zu Schaden. (Leipziger Volkszeitung 23.11.1992)

 

03.12.1992

In Leipzig wurden zwei rumänische Asylsuchende von 10 bis 15 Neofaschisten zusammengeschlagen. Die Neofaschisten hätten dabei auch mit Eisenstangen zugeschlagen. Die Opfer mussten mit Knochenbrüchen und anderen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden. (SZ 04.12.1992)