Brandanschläge in Dresden. Eine Einschätzung

Als am Morgen des 29. August die Tür der Begräbnishalle auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Dresden-Johannstadt brannte, war es bereits der zwölfte rechtsmotivierte Brandanschlag in diesem Jahr in Sachsen. Innerhalb der ersten acht Monate des Jahres 2010 brannten in Pirna und Döbeln drei Autos komplett aus, in Freiberg der Eingangsbereich des Vereins Roter Weg e.V. In Zschopau, Eilenburg und Freiberg warfen Rassisten Brandsätze in Imbisswagen und Lokale. In Döbeln steckten Nazis ein am Holzfenster des Cafe Courage angebrachtes Transparent in Brand. In Dresden wurden zwei bewohnte Häuser Ziel von Brandanschlägen.

In der Nacht zum 19. August brannte ein Zimmer im Erdgeschoss des alternativen Wohnprojekts „Praxis“ in Dresden-Löbtau fast vollständig aus. Dass niemand verletzt wurde, ist dem glücklichen Zufall zu verdanken, dass der Bewohner in dieser Nacht auswärts schlief. Nur fünf Nächte später, am 24. August, landete ein Molotowcocktail in einem Zimmer im 3. Stock des alternativen Wohnprojekts „RM 16“ in Dresden-Pieschen. Der Bewohner wachte rechtzeitig auf und konnte den Brandsatz, der seine Wirkung nicht voll entfaltet hat, schnell löschen. Trotzdem bei diesen Brandanschlägen keine_r der Bewohner_innen verletzt wurde, waren es Angriffe, bei denen eine konkrete Gefahr für Leib und Leben bestand.

Aufgrund der Häufung von Brandanschlägen, aber auch aufgrund dessen, dass mit den Angriffen auf die beiden Hausprojekte, der Tod von Menschen in Kauf genommen wurde, wird von einer neuen Qualität der Nazigewalt in Sachsen geschrieben und gesprochen.

Wir wollen deshalb im Folgenden der Frage nachgehen, ob diese Einschätzung zutreffend ist. Zudem werden wir versuchen die beiden Brandanschläge auf „Praxis“ und „RM 16“ einzuordnen und damit auf Fragen zu antworten, die ebenfalls in den vergangenen Wochen immer wieder auftauchten – beispielsweise die Frage danach, ob die Angriffe aus einer organisierten Naziszene erfolgten oder ob es gar einen internen Aufruf zu Anschlägen auf „den politischen Gegner“ gegeben hätte.

Quantität und Qualität rechtsmotivierter Gewalt in Sachsen

Zwölf Brandanschläge in acht Monaten sind ohne Frage zwölf zuviel, aber solche Serien sind nicht neu. 2008 verübten Nazis und Rassisten insgesamt 18 Brandanschläge in ganz Sachsen. Es waren überwiegend Imbisse, Restaurants und Geschäfte von Migrant_innen sowie Asylsuchendenunterkünfte (z. B. Oppach) das Ziel. Aber auch Linke und Alternative wurden im Jahr 2008 insgesamt sechs Mal zum Ziel, z.B. beim Brandanschlag auf den Fanshop „Fischladen“ des Roten Stern Leipzig. 2009 ging die Zahl der Brandanschläge leicht auf 12 zurück. (siehe Review #16, Brandanschläge in Sachsen)

Insofern lässt sich allein aus der Quantität keine neue Situation hinsichtlich rechtsmotivierter Gewalt in Sachsen ausmachen.

In einem Punkt unterscheiden sich die Anschläge 2010 tatsächlich von der Serie 2008 – Linke, Alternative, Antifas oder Personen, die sich in der Öffentlichkeit gegen Nazis positionieren sind häufiger zum Ziel geworden. Doch darin ist noch keine neue Qualität zu erblicken. Leider entsteht dieser Eindruck da solche Angriffe auf das eigene politische Umfeld stärker wahrgenommen werden als andere – nämlich nicht als Angriffe auf Einzelne, sondern als Angriffe auf eine bestimmte Gruppe, zu der man sich selbst zählt.

Und zurecht werden die Brandanschläge auf linke Wohnprojekte entsprechend problematisiert. Denn im Bezug auf Angriffe auf „politische Gegner“ stellen die Brandanschläge auf bewohnte Häuser tatsächlich eine neue Qualität dar. Denn so penetrant und gefährlich die zeitweise im Wochen-Rhythmus verübten Angriffe auf die „RM 16“ seit ihrem Bestehen auch waren, bedrohten sie noch nicht in dieser Form das Leben der Bewohner_innen.

Nichtsdestoweniger trifft diese Feststellung nur bedingt zu – für eine Generation von Nazis, Rassisten und rechten Jugendlichen, wie sie in den vergangenen zehn Jahren in Dresden zu beobachten ist. Richtet man aber den zeitlichen Blick etwas weiter zurück, so wird deutlich, dass solche Wellen von Brandanschlägen in Sachsen in den 90er Jahren immer wieder stattgefunden haben. Brandsätze in Unterkünfte für Asylsuchende, linke Jugendclubs oder Wohnprojekte zu werfen, gehörte zum regelmäßigen Aktionsrepertoire einer damals präsenten Naziszene (siehe dazu Chronologie 1992).

Selbstläufer oder Serien nach Plan?

Entgegen der Annahme, dass diesen Serien von Brandanschlägen so etwas wie ein interner Aufruf innerhalb der Naziszene vorausgehen müsste, zeigen die Erfahrungen, dass es eines solchen zumeist gar nicht bedarf. Vielmehr scheint die Häufung solcher Angriffe durch Nachahmung begründet zu sein.

Dafür sprechen die Schilderungen von Tätern vor Gericht, so beispielsweise im Verfahren wegen versuchter schwerer Brandstiftung im September 2008 in Oppach. Die Täter hatten versucht die Sammelunterkunft für Asylsuchende mit Molotowcocktails in Brand zu setzen. Glücklicherweise traf keiner der Brandsätze ein Fenster, so dass sie an der Hauswand zerschellten. Die Angeklagten schilderten, dass sie auf die Idee kamen, als sie Abends zusammen saßen, Bier tranken und Musik hörten. Nachdem es in den Monaten zuvor schon mehrfach in Ostsachsen zu Brandanschlägen u.a. auf Imbisswagen gekommen war, waren sie nun der Meinung, dass die Bewohner_innen des Heims in ihrer Nähe einmal „eine Abreibung“ gebrauchen könnten. Einen Aufruf bedurfte es hier nicht. Ausreichend war, dass es andernorts schon funktioniert hat, dass in den Köpfen von Nazis scheinbar Asylbewerberheim und Molotowcocktail zusammen gehören und dass das Wissen um die Zusammensetzung eines Molotowcocktails sowie die Zutaten vorhanden waren.

Es bedarf keines internen Aufrufes, weil Brandanschläge spätestens seit den 90er Jahren zum Aktionsrepertoire und Molotowcocktails zum Wissensbestand von Nazis gehören. Es bedarf auch keiner organisierten Kameradschaft oder intensiver Planung. Molotowcocktails werfen auch einzelne Rassisten, wie in Freiberg oder lose Zusammenhänge von rechten Jugendlichen.

So scheinen die Brandanschläge in Dresden eher von Cliquen rechter Jugendlicher ausgegangen zu sein, als von organisierten militanten Nazigruppen. Auch wenn Einzelne aus diesen Zusammenhängen intensivere Kontakte zu organisierten Nazis pflegen, auf Demonstrationen fahren und anderweitig politisch aktiv sind.

Kennzeichnend für diese Cliquen – die sowohl in Löbtau, als auch in Pieschen anzutreffen sind – ist ihre Dominanz im Straßenbild, sei es durch ihre bloße Präsenz, Aufkleber oder Sprühereien. Sie sind klar rechts eingestellt, auch wenn sie sich selbst nicht unbedingt als politische Aktivisten sehen. Anders als bei organisierten „Freien Kräften“ steht das politische Engagement nicht im Vordergrund. Diese sozialen Zusammenhänge stellen sich nicht über das „Politik machen“ her, sondern bestehen vorher. Aus diesen Cliquen können dann Einzelne oder aber auch alle sporadisch politisch aktiv werden. Vorstellungen von Ungleichwertigkeit, wie Rassismus, Antisemitismus oder Sozialchauvinismus und der Hass auf alles, was irgendwie anders ist, gehören ganz einfach dazu, wie auch eine unübersehbare Affinität zu Gewalt. Eine konkrete Richtung erhält diese Mischung entweder spontan im Alltag, wenn ein „Feindbild“ zufällig den Weg kreuzt oder aber gezielter und weniger spontan, wenn sich ein Anlass bietet.

Ein solcher Anlass können bestimmte Daten sein oder Aktionen die als Vorbild zur Nachahmung dienen. Das Ziel ergibt sich dann meist aus der allgemeinen Stimmungslage – in Dresden ist die Stimmung in eben jenen Cliquen vor allem gegen „Zecken“ oder den „politischen Gegner“ gerichtet. Vor allem in Pieschen, Mickten und Trauchau gehören Sprühereien wie „Antifas töten“ oder „Smash Antifa“ ebenso zum Straßenbild wie Aufkleber mit dem Aufruf „Robert-Matzke-Straße angreifen“.