„JN-Sachsentag“ ausgefallen

Am 21. Juni 2008 lud die sächsischen Jungen Nationaldemokraten (JN) zum zweiten Mal zum sogenannten „Sachsentag“ nach Dresden ein – einer Veranstaltung ähnlich dem „Pressefest“ der NPD-eigenen Zeitung Deutschen Stimme, jedoch in kleinerem Rahmen. Neben Infoständen verschiedener rechter Organisationen und Projekte waren Redner von NPD und JN angekündigt, die eigentlichen Publikumsmagneten dürften aber die geplanten Auftritte verschiedener Rechtsrockbands aus dem In- und Ausland gewesen sein. Doch dazu kam es nicht. Das langfristig organisierte Nazievent, das insbesondere jugendliche JN-SympatisantInnen ansprechen sollte, scheiterte, da die Veranstalter keinen geeigneten Veranstaltungsplatz finden konnten. In Dresden-Pappritz wurde der JN-Sachsentag durch die Stadtverwaltung verboten. Um die misslungene Planung zu vertuschen, inszenierten sich die Nazis mit spontanen Versammlungen stattdessen einmal mehr als „Widerständler“ gegen „Behörden- und Polizeiwillkür“.

Um die Dimension des städtischen Handelns zu verstehen, muss ein Blick in das Jahr 2007 zurückgeworfen werden. Im Juli 2007 hatte der Stadtrat eine Nutzungsänderung des Geländes des Immobilienunternehmers Wolfgang Jürgens in Dresden-Pappritz beschlossen. Mit der Veröffentlichung dieses Beschlusses im Dresdner Amtsblatt Nr. 29-30 2007 am 26. Juli wurde er rechtskräftig. Danach gehörte nun das Pappritzer Gelände zum baurechtlichen Außenbereich. Anlass für diese Änderung war, dass Jürgens seinen Verpflichtungen als Eigentümer und Investor jahrelang nicht nachkam.1 Aufgrund dieser Änderung ist die Nutzung des betreffenden Geländes für Versammlungen, Feste oder ähnliches nicht mehr zulässig. Dieser Auffassung schloss sich letztendlich auch das Bundesverfassungsgericht für den geplanten JN-Sachsentag am 21. Juni 2008 an. Das aber erst nachdem sich Andreas Storr, als Anmelder zweimal im einstweiligen Rechtsschutz durch alle Instanzen geklagt hatte. Problem war, dass die NPD ihr Fest angemeldet hatte, die Stadt aber aufgrund der baurechtlichen Änderung keine Veranlassung sah, der NPD eine schriftliche Absage ihres Festes zu schicken. Das Bundesverfassungsgericht hingegen war in der ersten Runde der juristischen Auseinandersetzung der Auffassung, dass die Stadt zumindest einen sog. Feststellungsbescheid hätte versenden müssen. Dies holte die Stadt nach und die Jungen Nationaldemokraten begannen zum zweiten Mal den Weg durch die Instanzen, der ihnen mit der Zustellung des Bescheids eröffnet war. Sowohl das Verwaltungsgericht Dresden, als auch das Oberverwaltungsgericht Bautzen entschieden erneut im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, dass die baurechtliche Änderung die Nutzung des Geländes in Pappritz für den JN-Sachsentag unmöglich macht. Da der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts unanfechtbar war, blieb Andreas Storr nur der erneute Gang zum Bundesverfassungsgericht, um vorläufig die Frage klären zu lassen, ob baurechtliche Nutzungsänderungen dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit entgegen stehen können. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Beschlüsse der zwei Vorinstanzen und der JN-Sachsentag blieb in Pappritz untersagt. Abzuwarten bleibt, ob die Jungen Nationaldemokraten ein Hauptsacheverfahren durch alle Instanzen durchführen werden. Wenn ja, dauert dies mehrere Jahre und die Erfolgsaussichten dürften eher schlecht sein. Es ist also davon auszugehen, dass in Pappritz keine Naziveranstaltungen mehr stattfinden werden.

Der Routine folgend wähnte sich die JN zunächst auf der sicheren Seite und baute – wie bei Verboten von Naziveranstaltungen üblich – auf den juristischen Weg. Dementsprechend kopflos war dann auch das an den Tag gelegte Verhalten, als sich in der Woche vor dem Veranstaltungstermin diese Strategie als Fehleinschätzung entpuppte und der sicher geglaubte Veranstaltungsort plötzlich in Frage gestellt war. Es gab offenbar keinerlei Alternativpläne, so dass unter Vorspielung falscher Tatsachen versucht wurde ein anderes Gelände im Raum Dresden anzumieten. Ein Ronaldo Jahn gab bei einem Vermieter in Dresden-Kaditz an, dass er für ein Fest seiner Balkonbaufirma ein Gelände mieten wolle. Die Hoffnung der JN hier eine Ausweichlösung gefunden zu haben, verflog allerdings so schnell wie sie gekommen war. Der Vermieter wurde darüber informiert, dass mittlerweile der „JN-Sachsentag“ auf seinem Gelände angekündigt ist und zog daraufhin im Verlauf des Donnerstags sein Angebot zurück.

Bereits am Donnerstag Abend herrschte auf dem Gelände in Dresden-Pappritz reges Treiben. Die VeranstalterInnen des „JN-Sachsentages“ begannen damit die Dixieklos für den Samstag aufzustellen und das Gelände am Rande einer ehemaligen Tennishalle herzurichten. Am Freitag dann wurden die Vorbereitungen weitgehend beendet, nachdem Bühne, Beschallungstechnik und Bierbänke ihren Weg auf das Veranstaltungsgelände gefunden hatten.

Keine andere Lösung mehr in Sicht setzte die JN nun darauf mittels vollendeter Tatsachen die Durchführung des Sachsentages zu erzwingen. Dementsprechend wurde die Mobilisierung bis zuletzt aufrecht erhalten und die „Kameraden“ mit der bewusst falschen Aussage, dass „der Anmelder der Veranstaltung der Jungen Nationaldemokraten (JN) (…) darin [dem Urteil des OVG Bautzen vom Freitag] eine Bestätigung [sieht], daß die Veranstaltung durchgeführt werden kann“2 , die Veranstaltung also erlaubt sei nach, Dresden gelotst.

Das jedoch sorgte am Samstagmorgen für reichlich Stress und Verwirrung. Nachdem gegen 10 Uhr der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts eintraf, wurde das Gelände in Dresden-Pappritz von der Polizei abgeriegelt und anreisende Nazis weggeschickt. Dem Versuch die Musikanlage dennoch in Betrieb zu nehmen, wurde unter Androhung der Beschlagnahme schnell ein Ende bereitet. Auf Naziseite herrschte Konfusion, was dazu führte, dass die teilweise aus Tschechien, Österreich und der Schweiz angereisten Nazis weitgehend planlos durch die Dresdner Innenstadt gurkten beziehungsweise dort herumlungerten. Die „Sachsentag“-Organisatoren empfahlen ob des angeblich harschen Polizeivorgehens die Umkehr bzw. Rückreise. Erst gegen gegen 14 Uhr war ein besser organisiertes Vorgehen seitens der Nazis spürbar. Nachdem sie sich damit abgefunden hatten, dass der „Sachsentag“ in der ursprünglich geplanten Form nicht durchführbar ist, stand nun „spontaner“ Protest angesichts der „rechtswidrigen Behördenwillkür“ auf dem Programm. In Dresden-Bühlau nahe dem Ullersdorfer Platz sammelten sich etwa 150 Nazis. Udo Pastörs, Fraktionsvorsitzender der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, erklomm einen Altkleidercontainer und hielt in einstudierter Goebbelsmanier eine kurze Rede, in der er seine Kameraden auf das Feinbild BRD einschwor: „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, tönte er und bekam es mit „Frei, sozial, national“-Rufen quittiert.

Während dessen streiften weitere Nazigruppen durch die Innenstadt, da es kurzzeitig eine Demonstrationsanmeldung durch die JN am Postplatz gegeben hat. Diese wurde aber wieder zurückgezogen und als neues Ziel wurde der Bahnhof Neustadt ausgegeben. Zwischen 15 und 15.30 Uhr trafen etwa 300 Nazis auf dem Bahnhofsvorplatz ein, darunter teilweise im Konvoi die 150 vom Ullersdorfer Platz. Ihre oftmals mit Aufklebern verzierten PKWs parkten sie in den umliegenden Straßen, wo zumindest ein paar wenige im Verlauf des Tages antifaschistischen Besuch bekamen. Die ebenfalls mit mehreren Hundertschaften anwesende Polizei schloss die Nazikundgebung ein und ließ einen Demonstrationszug nicht zu. Daraufhin kam es zu einer Rangelei zwischen Cops und dem ziemlich jungen Nazipublikum, das mit dem Einsatz von Pfefferspray endete.

Zeigten sich das Geschehen Beobachtende schon über das ungehinderte Zulassen dieser zweiten Nazikundgebung verwundert, kannte das Erstaunen nunmehr keine Grenzen mehr. Setzte die Polizei bis dahin noch darauf ein Loslaufen der Nazis zu verhindern, änderte sie ihre „Taktik“ schlagartig. Die Nazis erklärten ihre Kundgebung für beendet und daraufhin wurden die Polizeiketten von der Nazimeute zurückgezogen – eine Einladung, die dankbar angenommen wurde. Und so rannten die ersten Reihen der Nazi-Demonstration voller Elan in die Hainstraße, während der hintere Teil gemütlich hinterher trottete. Grund zur Eile bestand auch nicht, schließlich entschied die Polizei erst zwei, drei Minuten nachdem auch der langsamste Nazis vom Bahnhofsvorplatz verschwunden war, nach dem/n Rechten zu sehen und die Verfolgung aufzunehmen. Ausbaden durfte diese Laissez-faire-Taktik ein tschechischer Fotojournalist, der auf der Hainstraße aus dem Nazimob heraus angegriffen wurde und der es lediglich glücklichen Umständen zu verdanken hat, keine schwerwiegenden Verletzungen davon getragen zu haben.

Der Polizei fiel es anschließend schwer die Nazis wieder unter Kontrolle zu bekommen. Diese hatten versucht über die Hauptstraße in das in ihren Augen alternative Szene- und Kneipenviertel Äußere Neustadt zu gelangen, wurden aber kurz vor dem Albertplatz von der Polizei abgefangen. Anschließend irrten sie kreuz- und quer in Richtung Regierungsviertel, verfolgt von einer nicht weniger planlosen Polizei. Erst als sich der Großteil des Nazimobs über die Augustusbrücke in die Altstadt absetzen wollte, konnten die mühsam zusammengeführten Polizeikräfte eingreifen und die Nazis stoppen. Auf die geplanten Identitätsfestellungen reagierten die Nazis mit „Keine Gewalt“-Rufen und Sitzstreiks – verhindert wurde die ID-Feststellung dadurch aber nicht. Für die etwa 300 Nazis in den zwei Polizeikesseln gab es stadtweite Platzverweise, außerdem kam es zu einigen Festnahmen im Zusammenhang mit der Körperverletzung an dem tschechischen Journalisten und einem Mitarbeiter des Ordnungsamts.

Gegen 19 Uhr war die Luft bei den Nazis weitgehend raus. Vereinzelt waren noch Grüppchen zu ihren Autos unterwegs oder saßen in den Kneipen der Innenstadt. Der Großteil wird sich wohl aber auf den Weg zum Ersatzkonzert gemacht haben, auf dem die US-Naziband Youngland, Saga und Sleipnir auftraten.

 

[1] ausführlich im ART-Review Februar 2007: (Schein-)Geschäfte
[2] www.sachsentage.de: Eintrag von Freitag dem 20.06.2008, eingesehen am: 25.07.2008