Nazistraßenterror in Nordsachsen – Kontinuitäten einer rechten Hegemonie

In den letzten Wochen kam es in Nordsachsen zu einer Reihe von Übergriffen, Angriffen und Kundgebungen. Die bundesweit bekannten Orte Mügeln und Wurzen sind bereits in der Vergangenheit durch rechten Terror sowie eine akzeptierende Mehrheitsgesellschaft aufgefallen und tun dies auch weiterhin. Derweil ist eine zunehmende Aktions- und Gewaltbereitschaft der Naziszene der Region gegen alternative Jugendliche und MigranntInnen zu beobachten. Nordsachsen kann mittlerweile in einem Atemzug mit Orten wie Mittweida, Colditz und der Sächsischen Schweiz genannt werden, welche als „No-Go-Area“ bezeichnet werden können. Der Einsatzleiter der Polizei sagte AugenzeugInnenberichten zufolge zum Mügelner Angriff am 28.August: „Ich bin zum ersten Mal in der Kleinstadt und hier herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände“.

Mügeln

In Mügeln kam es in den letzten Wochen immer wieder zu Übergriffen auf nichtrechte Jugendliche und Angriffe gegen das Vereinsgebäude des soziokulturellen Vereins „Vive le Courage“ (VLC). Nachdem die Angriffe, Drohungen und Propagandadelikte zu Beginn der vom VLC organisierten Antirassismuswoche zunahmen, erreichten die Naziaktivitäten am 28. August ihren Höhepunkt. Bis zu 50 Nazis versammelten sich in unmittelbarer Nähe des Vereinshauses und griffen es mit Flaschen, Steinen und Feuerwerkskörpern an. Die eintreffende Polizei wurde mit dem Hitlergruß und einem „Sieg Heil“ sowie einigen Flaschen und Steinen begrüßt. Die angreifenden Nazis führten Elektroschocker, Eisenketten, Teleskopschlagstöcke, Schlagringe und Quarzsandhandschuhe mit. Die Polizei konnte einen direkten Angriff auf das Haus zwar verhindern und nahm die Ermittlungen wegen Landfriedensbruch auf. Einen Jugendlichen, der auf dem Nachhauseweg war, konnten sie vor den Schlägen der Nazis nicht schützen. In der darauf folgenden Nacht wurde wieder eine Person aus dem Umfeld des VLC von Nazis angegriffen und geschlagen. Mügelns Bürgermeister Gotthard Deuse „[…] bitte[t] [lediglich] die Leute, die sich hier negativ für die Stadt ins Zeug gelegt haben, endlich Ruhe einziehen zu lassen“ [1]. Mit „den Leuten“ meint er wohl die engagierten Jugendlichen des Vereins, welche seit der „Hetzjagd“ auf acht Inder während des Stadtfestes im August 2007 kontinuierlich Aufklärungsarbeit leisten.

Dass sich die Stadt Mügeln und die angrenzenden Gemeinden immer mehr zur „No-Go-Area“ für nichtrechte Jugendliche und MigrantInnen entwickelt, belegen die Kontinuitäten der Angriffe und Ausschreitungen. Am Wochenende des 04./05. September zogen erneut mehrere bewaffnete Nazigruppen durch die Mügelner Straßen Richtung Vereinsgebäude. Insgesamt waren es etwa 30 rechts- und erlebnisorientierte Jugendliche. Die Berichte von kritischen BeobachterInnen und die Pressemitteilungen der Polizei versprechen wenig Besserung. Am Freitag, den 12. September, versammelten sich etwa 50 Rechte auf dem Mügelner Marktplatz und den angrenzenden Seitenstraßen. Patrouillierend in voll besetzten Autos suchten die Neonazis nach politischen Gegnern. Erfolglos mit den Autos, griffen sie stattdessen die Wohnung eines alternativen Jugendlichen und später die Polizei an. Treibende Kräfte der Naziszene im Raum Mügeln sind unter anderem Daniel Brandis und Tobias Hantel. Sie pflegen nicht nur die regionalen Kontakte zu jüngeren und älteren Kameraden, sondern besuchen regelmäßig überregionale Rechtsrockkonzerte und Demonstrationen der „Freien Kräfte“. Zuletzt fuhren Mügelner und Oschatzer Nazis zu Europas größtem Nazi-Rock Festival, dem „Rock für Deutschland“ in Gera und lauschten dort mit den rund 4000 Nazis der „Lunikoff Verschwörung“, „Brainwash“, „Blitzkrieg“ und „Sleipnir“. Dass es in Mügeln keine rechtsextreme Szene gibt, wie Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) nach dem Stadtfest 2007 behauptete, ist heute so falsch wie damals. [2]

Wurzen

In Wurzen war eine Schülerin mehrere Wochen lang dem Psychoterror von Neonazis ausgesetzt. Die Bedrohungen und Belästigungen begannen Anfang Juli mit rechten Aufklebern am Briefkasten der Schülerin, mehreren Farbkugelschüssen auf die Fenster und den Diebstahl zweier aufgehängter T-Shirts. Höhepunkt des Psychoterrors waren zwei versuchte Einbrüche: Am 15. August machten sich mindestens drei junge Männer am Türschloss zu schaffen, ohne die Wohnungstür erfolgreich zu öffnen. Als am 21. August Nazis wieder im Gebäude feierten und die junge Frau einschüchterten, verließ sie vorsichtshalber die Wohnung. Bei ihrer Rückkehr war das Türschloss mit Gewalt geöffnet. Die Täter wurden wahrscheinlich von dem in der Wohnung verbliebenen Hund abgehalten die Wohnung zu betreten. Angesichts der ständigen Bedrohungen und Einschüchterungen hat die 18-Jährige ihre Wohnung unmittelbar danach Hals über Kopf verlassen und sagte: „wenn die Leute wissen, wo sie mich finden, hätte ich Schlimmes zu befürchten“, zu groß war mittlerweile die Angst, das Gebäude allein zu betreten.

Eilenburg

Mit einer Spontandemonstration in Eilenburg am 29. Juli thematisierten über 100 Neonazis der „Freien Kräfte“ und des NPD-Kreisverbandes den Tod der ermordeten Corinna. Maik Scheffler, Kader des Freien Netz Nordsachsen, NPD-Bundestagskandidat und NPD-Stadtratsmitglied in Delitzsch sowie Kai Rzehaczek, NPD-Stadtratsmitglied in Eilenburg, meldeten die Demonstration an. Nachdem auf der Abschlusskundgebung auf dem Markt Istvan Repaczki, Kader des Freien Netz Leipzig und NPD-Kandidat in Leipzig, eine Abschlussrede hielt, wurden Kerzen und Blumen abgelegt. Am 01. August wollten über 150 Neonazis an einem Trauermarsch für die ermordete Corinna teilnehmen, unter ihnen die NPD-Landtagsabgeordneten Holger Apfel und Jürgen W. Gansel sowie Kai Rzehaczek und Maik Scheffler. Der Pfarrer der evangelischen Kirchgemeinde lud stattdessen zu einem Friedensgebet ein, um den Missbrauch des „schreckliche[n] Verbrechen[s] für politische Zwecke“ zu unterbinden. Am 17. August fand in Eilenburg im Zusammenhang mit den bundesweit geplanten dezentralen Flashmob-Aktionen zum 22. Todestag von Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess eine Kundgebung auf den Marktplatz mit knapp 70 regionalen Nazis statt. Schließlich kam es am 27. August in Eilenburg zur NPD-Wahlkampfabschlusskundgebung. Rund 150 Nazis und einige GegendemonstrantInnen versammelten sich vor dem NPD-„Flagschiff Deutschland“. Als Redner traten Holger Apfel, Winfried Petzold und Maik Scheffler auf. Abschließend klampfte Frank Rennicke monoton auf seiner Gitarre.

Oschatz

Am 12. Juli überfielen knapp 30 Nazi-Hooligans das Jugend- und Kulturzentrum E-Werk in Oschatz. Nach dem Ende eines Punkkonzertes versuchten die Angreifer den Konzertraum zu stürmen und warfen Flaschen, Steine sowie Feuerwerkskörper. Einige Konzertbesucher erlitten Verletzungen. Knapp 20 Nazis der „Freien Kräfte“ und des NPD-Kreisverbandes in Oschatz hielten am 17. August eine Kundgebung im Zusammenhang mit den bundesweit geplanten dezentralen Flashmob-Aktionen zum 22. Todestag von Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess ab. Beim Fußballspiel des FSV Oschatz gegen den Roten Stern Leipzig (RSL) am 29. August wurde von Neonazis aus dem Oschatzer Fanblock der Hitler Gruß gezeigt und die RSL Fans mit dem Ruf „Scheiß Zecken“ beschimpft.

Rassistische Angriffe

Rassistische Angriffe auf MigrantInnen gab es am 23. August in Taucha und Delitzsch. In Taucha griff eine Gruppe von 15 Nazis unter rassitischen Parolen drei MigrantInnen und später die Polizei an. Während zwei Betroffene flüchten konnten, brachten die Nazis einen Libanesen zu Fall und prügelten auf ihn ein. In Delitzsch wurden drei Personen mit türkischen Migrationshintergrund von einer Gruppe „offensichtlich[er] Fußballfans“ rassistisch beleidigt. Als ein 17-Jähriger schlichten wollte, wurde er von einem der Angreifer ins Gesicht geschlagen und erlitt einen Nasenbeinbruch. Am 24. Juli wurde in Wurzen ein türkischer Imbissbesitzer erst rassistisch diskriminiert und später geschlagen.

[1] Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) am 01.09.2009 in der Oschatzer Allgemeine Zeitung
[2] Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) am 20.09.2007 im Tagesspiegel „Bei uns gibt es keine rechtsextreme Szene.“